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070 - Komplott der toten Moerder

070 - Komplott der toten Moerder

Titel: 070 - Komplott der toten Moerder
Autoren: Fritz Steinberg
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wieder auf der Straße stand.
    Marfadra hörte ein schwaches Quieken.
    „Du!“ sagte er in sich hinein. Mit einer energischen Willensanstrengung löschte er das neue Entsetzen, das in ihm aufsteigen wollte, aus. Aber ein untergründiges Grauen blieb.
    Es kam keine Antwort. Hatte er ein fernes Reifenquietschen gehört? Das Kläffen eines Pinschers?
    Es war gleichgültig. Vor Einbruch der Dunkelheit blieb ihm wenig Zeit, und er mußte weg aus dieser Gegend. Er lief die nächste Metro-Station hinunter, wurde beinahe zwischen die selbst schließenden Türen eines abfahrenden Zuges geklemmt und fuhr eine lange Strecke mit, bevor er an der Endstation ausstieg. Auch bei dem Türen-Zwischenfall beobachtete ihn ein Polizeibeamter, diesmal einer in Zivil. Doch erstens waren hastig rennende Leute, die ihren Zug noch erwischen wollten, hier unten nichts Ungewöhnliches. Zweitens entsprach Marfadra in keiner Weise mehr den Fahndungsangaben, die ja inzwischen zurückgezogen worden waren.
     

     
    Als Marfadra aus der Metro-Unterwelt wieder auftauchte, fand er sich in einem Vorort mit niedrigen, meist einstöckigen Häusern und vielen Straßenbäumen.
    Buntgefärbte Blätter fielen ringsherum zu Boden.
    Er setzte sich auf die kniehohe Einfassung eines Vorgartens. Schräg gegenüber in der schmalen Straße flackerte die rosafarbene Neon-Schrift einer Metzgerei. Ein Sirren und Brummen begann in Marfadras Kopf.
    Er sprang auf und hetzte so aufgeregt um die nächste Ecke, daß er beinahe mit einem schwarzbärtigen, jüngeren Mann im Rollstuhl zusammengestoßen wäre.
    „Hallo“, sagte der Krüppel und legte seinen schief angewachsenen Kopf noch schiefer. „Wer es eilig hat, vertrödelt die Zeit, denn Eile macht das Leben kürzer. Wer sich Zeit nimmt, kommt immer zu früh, denn das wichtigste geschieht auf jeden Fall nach dem Weggehen. Verstehst du, was ich meine?“
    Marfadra begriff jedes Wort und jede versteckte Nebenbedeutung des in schnellem Französisch Gesagten. Aber er rannte ohne zu antworten weiter. Er kam in eine Straße ohne Neonlicht, und doch hörte das widerliche Sirren nicht auf – als gingen die Strahlen der rosafarbenen Neonlichter durch Stein.
    „Was du suchst, findest du nicht, aber was du nicht finden willst, das sucht dich!“ schrie der Krüppel hinter ihm her. Marfadra rannte bis ans Ende der Straße, dort war ein Park. Er verkroch sich zwischen hohen Bäumen im Gebüsch. Doch schon begann er alles doppelt zu sehen – wie am Abend vorher.
    „Weg mit dir!“ rief er stöhnend.
    „Geh weg, hörst du. Verschwinde …“ Er bekam keine Antwort, obwohl er wußte, daß da … etwas war. In ihm. Landru?
    „Du Kreatur der Hölle!“ schrie Marfadra auf arabisch. „Ich hasse dich, ich verabscheue deinen Namen und die Mutter, die dich geboren hat und die Erde, auf der du gegangen bist.“
     

     
    Es war nicht Landru, der die Tiefen von Marfadras Seele berührte.
    Das uralte Etwas hörte ein Schluchzen. Es hörte auch, wie jemand es, das uralte Etwas, verfluchte. Das war ein langer Fluch: Sein Name wurde verflucht und die Mutter, die das Etwas geboren hatte, und die Erde, auf der es in alter Zeit gegangen war.
    An alles konnte das Etwas sich nicht mehr erinnern. Man stirbt, und man liegt ohne Bewegung in der Erde, und während oben die Jahrhunderte dahingehen, sickert unendlich langsam immer mehr von der eigenen Persönlichkeit in diese modernde Erde. Es ist ein Rauschzustand.
    Sterben dauert lange. Das wußte das uralte Etwas noch. Überall unter der Erde liegen die erdbetrunkenen Toten und denken ihre zähen Gedanken immer langsamer vor sich hin.
    Es hob den Kopf. Nein – denn die Bewegung gelang nur teilweise. Es war noch zu erdberauscht, um zu wissen, wie man den Kopf hebt. Und zu viel von seiner gewesenen Persönlichkeit war weg … in die Erde versickert.
    Doch beim zweiten Versuch hob sich der Kopf etwas mehr.
    Das Etwas sah eine Hand. Es stellte sich vor, wie die Hand sich zusammenzog. Die Finger krümmten sich leicht. Es stellte sich vor, daß die Hand sich spreizte. Die Finger gingen auseinander. Hatte es denn wieder einen Körper?
    Dem Etwas kam die Erinnerung an einen Namen. Raoul. Ritter Raoul. Es hatte auch einen Beinamen gehabt. Aber der fiel ihm nicht ein.
    Ritter Raoul sah ringsumher Gesträuch und Abenddämmerung. Ein rauer Hauch von Herbst lag in der Luft. Ja, er hatte gewißlich wieder einen Körper. Und er spürte, daß jemand bei ihm war – mit ihm in diesen gleichen Körper
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