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070 - Komplott der toten Moerder

070 - Komplott der toten Moerder

Titel: 070 - Komplott der toten Moerder
Autoren: Fritz Steinberg
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davon.
    Marfadra bemerkte, daß sein Anzug zerrissen war. Sein Koffer stand unerreichbar in dem Keller, aus dem er entkommen war. Aber wenigstens steckten Reisepaß, etwas eigenes Geld und die mehreren hundert gestohlenen Franc hier bei ihm in den Anzugtaschen.
    Marfadra fuhr mit einer Hand prüfend über seinen zerschundenen Hals. War in dem Koffer etwas, das ihn verriet? Denn bestimmt geriet das Gepäckstück doch in die Hände der Polizei.
    Mit der Plötzlichkeit eines Hammerschlages wurde ihm bewußt, was geschehen war. Er – er selbst hatte die Hand zum Hals gehoben – nicht Landru! Seine Füße verloren den Takt ihrer Schritte, stolperten – gerade noch konnte er wieder die Kontrolle über sich gewinnen und weitergehen. Er, Marfadra, fing sich und ging weiter. Während er noch zu begreifen versuchte, spürte er, wie die unnatürliche fremde Gesichtsfaltung nachgab: ein wenig … noch etwas … noch etwas mehr …
    Rasch hatte Marfadra sein eigenes Gesicht wieder.
    Menschen begegneten ihm: Frühaufsteher, die vor dem großen Schwarm zur Arbeit gingen. Sie streiften Marfadra mit seltsamen Blicken, gingen aber wortlos weiter. Schließlich fand er im Schaufenster eines Optikergeschäfts einen Spiegel.
    Sein Gesicht sah verquollen aus. Wo die fremden Gesichtslinien sich eine Nacht lang eingeprägt hatten, gingen rote Striemen über die Haut. Er rieb sein Gesicht heftig mit beiden Händen, erreichte aber nur, daß er noch verwahrloster aussah.
    „Was ist los?“ fragte er laut.
    Keine Antwort.
    „He, Landru!“
    Nichts.
    Marfadra blieb stehen.
    „Geh … weiter …“, hörte er in sich. Es war kein Flüstern, es war nur noch ein Wehen.
    „Geh … doch weiter … wir sind noch zu … dicht … bei dem Haus …“
    Automatisch setzte Marfadra erneut seinen Weg fort. Fünf Minuten später kam er an einem alten kleinen Springbrunnen vorbei. Mit einem Gefühl unglaublicher Erleichterung tauchte er seinen Kopf in das kühle Naß, wieder und immer wieder. Als er prustend auf seinen Beinen stand, tauchte die rötliche Sonne über den Horizont. Tief in Marfadra quiekte Landru.
    „Was willst du?“ fragte Marfadra in sich hinein.
    Die Antwort bestand nur in einem neuen Quieken. Wenn ein Mensch innerhalb kurzer Zeit schrumpfen und welken könnte, bis er wie ein Ballonrest klein und formlos daläge, schwache Bewegungen machte und quiekte – dann würde dies in etwa beschreiben, wie sich Landru in Marfadra anfühlte.
    Vernichtete das Tageslicht die Gewalt, die der Geist des Massenmörders über ihn hatte? Oder lag Landrus Kraftlosigkeit darin, daß immer mehr Neonreklamen erloschen, die die Nacht hindurch und bis in den Morgen hinein gestrahlt hatten?
    Was sollte er jetzt tun? Kein Mensch konnte ihm das glauben, was er in dieser Nacht erlebt hatte. Ging er zur Polizei oder erzählte er auch nur irgendeinem anderen Menschen davon, wurde er als abscheulicher Mörder behandelt. Oder – schlimmer noch – er wurde in eine dieser Anstalten für Verrückte gesteckt und nie mehr herausgelassen.
    Marfadra blieb stehen, lehnte sich gegen die Wand und schloß die Augen. Landru quiekte.
    „Sei still, du!“ dachte Marfadra zornig und angewidert. Doch Landru quiekte und quiekte. Landru hatte Angst vor diesem Stück Wand. Aber nein – es war ja keine Hauswand, nur eine hohe Umfassungsmauer. Und dann sah Hassan Marfadra in sich schattenhaft das Bild einer Guillotine – so dicht, wie sie im Morgenlicht nur ein Verurteilter zu sehen bekommt. Er blickte zum zweiten mal hoch. Es war eine hohe, düstere Mauer, an der er lehnte. Mindestens vier Meter hoch.
    Marfadra konnte nicht ahnen, daß es die Mauer des berüchtigten Pariser Sante-Gefängnisses war. Doch nach einigen Augenblicken erfaßte er gefühlsmäßig, daß hinter der Mauer Landru hingerichtet worden war.
    Der Tote quiekte und quiekte. Marfadra wollte absichtlich stehenbleiben. „Habe du jetzt auch einmal Angst“, dachte er. Und mit einemmal merkte er, daß seine Füße ihn weitertrugen – nicht, weil Landru sie wieder lenken konnte, sondern weil auch die schreckliche Ausstrahlung dessen, was hinter der Mauer geschehen war, weiter jagte.
     

     
    Er ging ziellos durch Straßen, Straßen, die sich Zusehens mit hastenden, drängenden Leuten füllten. Die Anstrengungen der Reise und der grauenvollen Nacht überwältigten ihn derart, daß er im Stehen einschlief. Seine Füße trugen ihn automatisch weiter, während er mit halb geschlossenen Augen fern und undeutlich wahrnahm,
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