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0694 - Eine Falle für Merlin

0694 - Eine Falle für Merlin

Titel: 0694 - Eine Falle für Merlin
Autoren: Werner Kurt Giesa
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gelernt hatte, zu leben - gelernt hatte, selbstständig zu sein. Zu überleben, was auch immer ihr zustieß.
    Das war noch ein langer, weiter Weg.
    Aber Baba Yaga war ahnungslos.
    Sie kannte den Weg nicht, dessen Weichen das Schicksal für sie bereits gestellt hatte.
    Denn sie konnte die Schicksalswege nicht lesen, die in den geknüpften Bildmotiven des Wandteppichs verborgen waren.
    Die Hexen aber hießen sie und das Kind willkommen in den minoischen Höhlen.
    ***
    Nicole zuckte unwillkürlich zusammen, als das Visofon sich mit sanftem Summton meldete. »Anruf akzeptiert«, rief sie der Sprachsteuerung zu.
    Es musste Zamorra sein, der anrief. Hatte er Erfolg gehabt? So schnell? Das konnte sie sich eigentlich nicht vorstellen. Es war ja schon ein unglaublicher Zufall, dass sie selbst so rasch an einen der drei von Merlin geforderten Gegenstände gelangt war. Sie hatte damit gerechnet, dass es Wochen und Monate dauern würde, bis die Teile zusammenkamen - weit über die in wenigen Tagen bevorstehende Vollmondnacht hinaus.
    Der Monitor der Bildsprechanlage blieb dunkel; der Anrufer besaß kein Bildtelefon, mit dem er sein Konterfei hätte übertragen können.
    »Professor?«, fragte jemand aus dem Lautsprecher-Nichts.
    Nicole erkannte die Stimme. »Zamorra ist in Paris, Pater. Kann ich etwas für Sie tun?«
    »Nicole«, sagte Pater Ralph, der Dorfgeistliche. »Ich hatte gerade einen seltsamen Anruf, meine Tochter. Der Anrufer klang wie der alte Monsieur Bois, aber der ist doch schon lange tot.«
    »Raffael?« Nicole schluckte. »Was wollte er von Ihnen, Pater?«
    »Ich sollte in der Kapelle eine Falltür öffnen. Was sich darunter befände, wäre von größtem Interesse für den Professor, beziehungsweise für dich, Tochter.«
    »Ich komme«, versprach Nicole.
    Bei dem vorherrschenden Sauwetter wollte sie ihren Luxus-Oldtimer nicht quälen. Also nahm sie Zamorras metallicgrauen 740i und fuhr ins Dorf hinunter. Pater Ralph erwartete sie bereits.
    Eigentlich hatten sie schon vor langer Zeit Brüderschaft getrunken und waren per Du, aber Nicole fiel es schwer, dem Geistlichen gegenüber vertraulich zu werden; allenfalls in der Dorfggaststätte wagte sie es, ihn mit ›du‹ anzureden. Dass er seinerseits jeden duzte, hing mit seinem Job zusammen - die Bewohner des Dorfes und des Châteaus waren eben seine Töchter und Söhne.
    »Was ist das nun mit dieser Falltür, Pater?«
    »Ich habe sie noch nicht geöffnet«, gestand der Geistliche. »Dafür wollte ich auf dich warten. Es ist schon erstaunlich - ich dachte immer, ich würde die Kapelle genau kennen. Aber diese Falltür habe ich nie zuvor gesehen. Nun, sie ist auch an einer etwas abgelegenen Stelle…«
    »Moment«, sagte Nicole, ging zum BMW zurück und fischte vorsichtshalber die serienmäßige Akku-Taschenlampe aus dem Handschuhfach. »Dann wollen wir doch mal auf Schatzjagd gehen.«
    »Was soll das sein, wovon der Anrufer sprach?«, fragte Ralph. »Hast du eine Ahnung?«
    Nicole schüttelte den Kopf.
    »Der Anrufer«, fuhr der Pater fort. »Es war tatsächlich der alte Raffael, nicht wahr?«
    »Er spukt nach wie vor«, gestand Nicole. »Er kann sich nicht von seiner Aufgabe trennen. Er hätte sich schon vor einem Vierteljahrhundert pensionieren lassen können, aber er hat das nie getan, sich immer dagegen gesträubt. Seine Arbeit war sein Leben; sie ihm zu nehmen, hätte ihn umgebracht.«
    »Ich weiß«, sagte Pater Ralph leise.
    »Lassen Sie ihn spuken«, bat Nicole. »Bemühen Sie sich nicht darum, ihn ›erlösen‹ zu wollen. Auf seine Weise hat er so seine Ruhe gefunden. Auch wenn er tot ist, ist er immer, noch da und kann etwas tun. Ich glaube, das macht ihn glücklicher, als wenn er durch die Himmelspforte schreiten müsste - was ich ihm durchaus gönne. Aber…«
    »Ich verstehe, was du meinst«, sagte Ralph. »Ich denke, ich kann es respektieren.«
    Sie hatten die Stelle erreicht, an der sich die »Falltür« befand - zu Nicoles Erstaunen nicht innerhalb der Kapelle, sondern draußen vor dem Glockentürmchen. »Habe ich immer für einen Gully-Deckel gehalten, Abwasser und so«, sagte der Pater. »Halte ich es jetzt noch für. Aber können Wesen aus dem Jenseits lügen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Können sie nicht«, beantwortete er seine Frage.
    »Immerhin - unter einer Falltür stelle ich mir eigentlich etwas anderes vor«, sagte Nicole.
    »Das hier ist aber die Stelle, die Monsieur Bois’ Geist beschrieben hat«, sagte Ralf. Unter der Soutane zog er
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