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0691 - Schwester der Nacht

0691 - Schwester der Nacht

Titel: 0691 - Schwester der Nacht
Autoren: Martin Barkawitz
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trug er einen Zylinder, an den Füßen Stiefel mit Gamaschen.
    Seine Hände spielten mit einem Spazierstock.
    Die Frau trug ihr offenbar langes Haar im Nacken zusammengesteckt. Ein Hütchen saß ihr keck in der Stirn. Auch diese Schönheit war wie ihr Begleiter im Stil des 19. Jahrhunderts gekleidet. Unter dem bodenlangen altrosa Kleid lugte ein Fingerbreit Unterrock hervor. Die elegante Dame hatte eine warme Stola um die Schultern gelegt. Sie führte eine altmodische Handtasche mit sich.
    Horst Hardenbergs Mund blieb vor Erstaunen offen stehen. Auch Gudrun fiel aus allen Wolken, wie er an ihrem überraschten Ausruf erkannte.
    Das Paar aus der Vergangenheit nickte ihnen freundlich zu und verschwand hinter der nächsten Wegbiegung.
    Der Student kratzte sich nachdenklich am Kopf. War das eine Fata Morgana oder so was? Stieg ihm der Wein plötzlich zu Kopf? Oder liefen diese beiden Figuren einfach nur Reklame? Aber wenn ja, für was? Vielleicht für ein Wachsfigurenkabinett oder so was?
    Er musste sich Gewissheit verschaffen.
    »Horst! Nicht!«, flehte Gudrun.
    Doch der Graukopf im Jeansanzug schlich hinter den geheimnisvollen Fremden her. Der Mann und die Frau standen nun zwischen zwei Familiengruften.
    Hardenberg pirschte sich noch näher heran. In seiner Kindheit war er bei den Christlichen Pfadfindern gewesen. Das kam ihm nun zugute.
    Der Mann mit dem Zylinderhut machte etwas mit seiner linken Hand. So, als ob er einen Ring berühren würde. Außerdem sprach er laut und deutlich seltsame Worte.
    »Anal'h natrac'h - ut vas bethat -doc'h nyell yenn vvé.«
    So oder ähnlich hörte sich der Satz für den Deutschen an. Kaum waren die Worte verklungen, als der Mann und die Frau verschwanden wie Trugbilder.
    So, als hätten sie nie existiert.
    Hardenberg stolperte zurück zum Grab von Jim Morrison. Ihm war der kalte Schweiß ausgebrochen.
    »Was ist denn los, Knuddelbär?«, keuchte Gudrun.
    Der Althippie packte die Rotweinflasche und ließ sie an einem Grabstein in der Nähe zerschellen.
    »Ich rühre das Zeug nicht mehr an! Nie wieder! Als Nächstes sehe ich noch weiße Mäuse!«
    ***
    Jean und Eduard kehrten zum Père-Lachaise zurück.
    Die beiden Vampire hatten die ganze Nacht lang versucht, diesen Zamorra aufzustöbern.
    Vergeblich.
    Allerdings konnten sich die beiden Spitzbuben vom Place Pigalle natürlich nicht überall in Paris sehen lassen. In den eleganten Cafés vom Palais Royal oder an den Champs-Elysées hätte man bei ihrem Anblick sofort die Flics gerufen.
    Doch Jean und Eduard kannten halb Paris. Auch in den Vergnügungspalästen des Großbürgertums arbeiteten Kumpane der beiden, die sich für ein paar Francs gerne unter den Gästen umhörten. Zwar wunderten sich die Bekannten der beiden Apachen, dass ihre Freunde von der Place Pigalle plötzlich so bleich und starr wirkten.
    Doch Jeans und Eduards Aussehen schob man schnell ihrem Lebenswandel in die Schuhe, um den viele Männer sie insgeheim beneideten…
    Aber obwohl die Verbrecher alle ihre Quellen angezapft hatten, war diese Nacht ein Schlag ins Wasser gewesen. Niemand wusste etwas von einem Monsieur Zamorra, keiner hatte den Namen jemals gehört. Weder im Hotel de Ville oder den anderen eleganten Herbergen noch in den Bars und Restaurants der feinen Gesellschaft. Und schon gar nicht an der Place Pigalle, wo Jean und Eduard »Heimvorteil« genossen.
    Weit nach Mitternacht waren die beiden Vampire in rasendem Blutdurst über eine junge Prostituierte hergefallen, die am Place Blanche ihren Körper anbot. In einem schäbigen Hinterhof hatten Jean und Eduard alles Blut aus ihrem mageren Körper gesaugt.
    Erstmals erlebten die beiden Nachtgestalten die höllische Ekstase der uralten Rasse, zu der sie nun auch gehörten.
    Doch als die tote Frau zu Boden sank, blieb ein schales Gefühl zurück.
    »Wir haben den Befehl nicht ausgeführt«, krächzte Jean, während er sich die letzten Blutstropfen von den bleichen Lippen leckte. »Die Herrin wird sehr böse auf uns sein!«
    Eduard nickte nur stumm. Als Vampir war er nicht mehr so ängstlich wie in seiner Zeit als Mensch. Und doch fürchtete er die Schwester der Nacht mehr als alles andere. Mehr noch als die Sonne.
    »Wir müssen zum Friedhof zurück«, erinnerte Jean. »Das verdammte Tagesgestirn wird bald aufgehen!«
    Wie zwei schmale Schatten jagten die beiden Blutsauger von der Place Blanche zum Père-Lachaise. Noch waren längst nicht alle Pariser Straßen mit der neuen Gasbeleuchtung ausgestattet. Doch
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