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069 - Ein gerissener Kerl

069 - Ein gerissener Kerl

Titel: 069 - Ein gerissener Kerl
Autoren: Edgar Wallace
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recht geheuer, wenn er an das Ende der Fahrt dachte. Er kannte die Straßen, in die die Treppe mündete. In den Tagen seines früheren Verkehrs in dieser Gegend war der Ort sehr einsam gewesen. Man begegnete keinem, außer dann und wann einem patrouillierenden Schutzmann. Doch das war immerhin acht Jahre her. Straßen veränderten sich. Und wenn dort ein Schutzmann stand und sie schrie .
    Er suchte und fand eine Ausrede.
    »Ich will London zu Wasser verlassen. Heute nacht geht ein Dampfer, der mich mitnimmt, damit du's nur genau weißt. Ich fahre nach Limehouse — Channey-Treppe. Dort wartet ein Motorboot auf mich. Jetzt weißt du genausoviel wie ich.«
    Sie war sichtlich erleichtert. An die Stelle des Grauens vor dem Unbekannten war eine verhältnismäßig kleine, übersehbare Unannehmlichkeit getreten.
    »Ich kenne Limehouse nicht«, sagte sie.
    »Du brauchst es auch nicht zu kennen«, erwiderte er schroff. »Du hast nur nach meinen Anweisungen zu fahren. Wenn ich in Sicherheit bin, kannst du abschieben.«
    Nach und nach mußte er sie auf die weiteren Peinlichkeiten dieser Fahrt vorbereiten.
    »Natürlich werde ich dich nicht in dem Wagen allein lassen, damit du zu dem nächsten Schutzmann saust, während ich an der Treppe auf mein Boot warte. Du wirst mit zur Treppe kommen und dort bleiben, bis man mich abholt.«
    Das Wort Treppe, das sie sofort mit dem Wasser in Verbindung brachte, jagte ihr Entsetzen durch die Adern.
    »Ich werde im Wagen warten, bis du mir sagst, daß ich abfahren darf. Ich schwöre dir, daß ich mich nicht von der Stelle rühren werde ...!«
    »Du wirst tun, was ich dir befehle. Ich denke nicht daran, mich irgendeiner Gefahr auszusetzen. Ich bin schon genug in der Tinte.«
    Dann fuhr er schlau fort:
    »Wenn ich mich ohne deinen Wagen durch London hätte hindurchschleichen können, hätte ich's getan. Aber ich war in Verzweiflung; die Polizei sucht mich überall.«
    Das schien ihr plausibel. Sie wurde jetzt ganz ruhig, ihr Herz schlug wieder normal. Sie begann sogar ein gewisses Interesse an diesem seltsamen Teil Londons zu nehmen, durch den sie jetzt fuhren.
    »Das ist Limehouse«, erläuterte er.
    Die Gegend war sehr schmutzig, öde und unromantisch. Sie hatte erwartet, in jedem zweiten Passanten einen Chinesen zu finden. Sie waren aber alle erschütternd europäisch.
    Auf seine Anweisung ließ sie den Wagen längs der hohen Mauer eines Docks entlanggleiten. Aufatmend sah er zweihundert Schritte vor der Treppe einen Polizisten vorübergehen. Der würde so bald nicht zurückkehren. Autos waren in dieser Gegend keine Seltenheit; denn eine Schifffahrtsgesellschaft hatte ihren Kai am Eingang der Straße, und heute nacht ging ein großer Überseedampfer hinaus.
    Er blickte durch das regenfeuchte Fenster, erkannte ein Gebäude und dann die Laternen, die an der Treppe brannten.
    »Halte dich rechts«, befahl er.
    Er stieg aus, blickte die Straße hinauf und hinunter. Niemand war zu sehen. Die Gasse hatte sich nicht verändert. Sie bildete zwischen hohen, blinden Mauern eine tiefe Schlucht. Am Ende der engen Passage sah er das Wasser glitzern und das Licht einer Barke.
    »Los, aussteigen!« rief er barsch. Die alte Furcht packte sie wieder, jenes lähmende Entsetzen, das sie beim Anblick von Guelders Haus ergriffen hatte.
    »Ich kann nicht! Ich schwöre dir, ich rühre mich nicht von der Stelle. Ich ...«
    »Aussteigen!« zischte er und riß sie von dem Sitz.
    Wenn er auch niemanden auf der Straße gesehen hatte, so hatten dennoch zwei Augenpaare ihn aus der dunklen Verborgenheit eines Kaigitters erblickt. Zwei umherstrolchende Diebe, die Gelegenheit suchten, sahen den Wagen. Und sahen den Mann mit dem sich sträubenden Mädchen in dem engen Gang verschwinden.
    »Wer ist das?« flüsterte der eine, worauf der andere erwiderte: »Der Motor läuft. — Den klauen wir!«
    Sie blickten dem Mann und dem Mädchen nach. Sie wehrte sich, sprach schnell, fiebernd, beschwörend .
    »Die zanken sich ... warten wir noch ein bißchen, bis sie ganz unten sind.«
    »Ich gehe nicht weiter!« schrie sie. Ihre Stimme versagte plötzlich vor Angst.
    Dann drehte sie sich um und entlief. Doch im Nu hatte er sie wieder gepackt, preßte ihr mit der einen Hand den Arm, daß er schmerzte, und erstickte mit der anderen ihre Schreie. Sie wehrte sich verzweifelt und kämpfte um ihr Leben. Die beiden Nachtgeier hörten den Kampf und hielten den Augenblick für günstig.
    Weder Reef noch das Mädchen bemerkten das Davonfahren
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