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069 - Ein gerissener Kerl

069 - Ein gerissener Kerl

Titel: 069 - Ein gerissener Kerl
Autoren: Edgar Wallace
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bei Hochflut nur einen schmalen Landungssteg.
    Er hatte ein Licht brennen lassen. Eine seiner weißen Katzen kauerte lauernd am Boden. Das erste, was Ursula sah, waren die grauenvollen, grünen, starren Augen, die sie aus dem Halbdunkel anglotzten.
    Guelder half ihr aus dem Boot und stieß sie zu der engen Treppe hin.
    »Gehen Sie hinauf, junge Dame«, befahl er. Sie gehorchte willenlos, bis sie am Kopf der Treppe an einen Vorplatz kam, auf den ein breiter Gang mündete.
    »Gehen Sie in das Zimmer geradeaus — dort ist die Tür. Warten Sie.« Er drehte einen Schalter, sie sah eine große eichene Tür und öffnete sie.
    »Jetzt müssen Sie warten, bis ich die Vorhänge herabgelassen habe. Wegen unseres lieben Julian darf man uns nicht sehen. Nun, meine junge Freundin, ist es nicht ganz hübsch hier?«
    Das Knipsen eines Schalters — dann lag das Wohnzimmer in hellem Licht. Seine Sauberkeit und Gemütlichkeit bildeten einen so starken Gegensatz zu dem, was sie erwartet hatte, daß es ihr den Atem benahm.
    »Niedlich, mein Häuschen, wie?« schnurrte Guelder und strahlte durch seine Brillengläser. »Sie haben sicher noch nie etwas so Schönes gesehen — etwas so Herzerfreuendes, nicht wahr?«
    Sie war jetzt ruhiger geworden. Obwohl sie diesen Mann haßte, fühlte sie sich hier bei der Aussicht auf baldige Rettung fast geborgen.
    »Ich bitte Sie, lassen Sie mich gehen, Mr. Guelder! Wir sind doch hier in Greenwich, nicht wahr? Ich finde mich von hier sehr gut nach Haus.«
    »Sicher«, antwortete Guelder, »aber Sie werden begreifen, meine schöne junge Dame, daß unser Freund Julian Reef — unser armer Freund — in großer Verlegenheit ist. Ich weiß nicht, was geschehen ist, und habe keine Ahnung, wie Sie hergekommen sind; aber mir genügt schon die Tatsache, daß Sie hier sind und unter meinem Schutz stehen.«
    Guelder war durch die Gegenwart des Mädchens verwirrt. Er hatte kaum seinen Augen und Ohren getraut, als Julian ihm zugeflüstert hatte, wer seine Begleiterin war. Er blickte verwundert auf den zusammengebrochenen Mann. Es schien ihm, als sei Reef zusammengeschrumpft, seitdem er ihn zum letztenmal gesehen hatte. Er stand an der Tür, rieb sich wie geistesabwesend die Hände und hatte in den Augen einen ängstlichen, argwöhnischen Blick. Guelder schienen diese Symptome bekannt.
    »Lieber Freund, du bist entweder betrunken oder hungrig. Wenn du betrunken bist, werde ich dir etwas geben, was dich ernüchtern wird. Wenn du hungrig bist — die Tür dort führt in die Küche. Aber ich rate dir Vorsicht! Laß den Wein stehen! Nüchternheit bedeutet Rettung, Trinken Untergang!«
    Ohne ein Wort zu entgegnen, wandte Julian sich um und verschwand.
    »Jetzt müssen Sie mir alle diese aufregenden Ereignisse berichten, süße junge Dame. Aber beeilen Sie sich; denn ich fürchte, das Telefon wird bald Alarm schlagen, es sei denn, daß Sie freiwillig gekommen sind ... Sie sind nicht freiwillig gekommen? Das hatte ich beinahe vermutet! Das ist schlimm. Der arme Julian muß verrückt geworden sein!«
    Sie erzählte ihm kurz, wie sich alles zugetragen hatte. Guelder hörte ihr mit unbewegtem Gesicht zu. Ihre Gegenwart hatte die Gefahr, in der er stand, verzehnfacht. Ihm blieb jetzt nur die Hoffnung, daß man ihre Entführung nicht so bald bemerkte.
    »Und Ihren Wagen — wo haben Sie den gelassen?« fragte er plötzlich.
    »Am Eingang der engen Gasse«, antwortete sie.
    Er schnitt eine Grimasse.
    »Ein Geniestreich von Julian! Damit ein Polizist daherkommt, den Wagen und die Nummer sieht. Er telefoniert, und in zwei Minuten weiß ganz London, daß Ursula Frenshams Auto in einer einsamen Gasse an der ChanneyTreppe steht! Ein Intelligenzrekord!«
    Er blickte sie nachdenklich an und erriet fast genau die Stimmung, in der Julian sie ihm gebracht hatte. Wortlos starrte er sie an, völlig im Bann ihrer Schönheit, und vergaß dabei die Gefahr, in der er schwebte. Er hatte jetzt nur noch den einen Gedanken, den Nachforschungen zu entrinnen und dieses berückende Geschöpf, das schon lange seine Gedanken Tag und Nacht beschäftigte und das nun hier in seinem Haus war, für immer zu behalten.
    Er ging zu einem tiefen Schrank, der in die Wand eingebaut war, und entnahm ihm ein Glas und eine Flasche.
    »Ich trinke nicht!« rief Ursula hastig und entschlossen. »Ich ersuche Sie, mich sofort gehen zu lassen, Mr. Guelder! Sonst wird die Sache sehr ernste Folgen für Sie haben.« Und sich plötzlich erinnernd, fügte sie hinzu: »Sie
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