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067 - Das Maedchen in der Pestgrube

067 - Das Maedchen in der Pestgrube

Titel: 067 - Das Maedchen in der Pestgrube
Autoren: Neal Davenport
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gestoßen.“
    „Viel Spaß damit!“ Der andere lachte. „Pack ihn hübsch ein und nimm ihn deinem Hund mit!“
    „Laß diese blöden Späße!“ schimpfte Heller.
    Nach wenigen Minuten hatte er den Knochen ausgebuddelt. Er warf ihn zur Seite, griff wieder nach dem Preßluftbohrer, stutzte aber plötzlich und beugte sich vor. Nein, er hatte sich nicht geirrt: Da schaute zwischen den Steinen grüner Stoff hervor.
    Er kniete nieder. Der Stoff fühlte sich brüchig an. Entschlossen richtete Heller sich wieder auf und griff nach der Schaufel. Vorsichtig grub er weiter. Immer mehr Stoff kam zum Vorschein.
    Das sollte ich eigentlich melden, dachte er, grub jedoch weiter. Bald war ein Bein zu sehen. Er betastete es mit den Fingern und zuckte zurück. Das Bein war eiskalt.
    Jetzt war seine Neugier geweckt. Nach fünf Minuten stieß er auf das zweite Bein. Der grüne Stoff fühlte sich seltsam steif an. Es war ein langer Rock, der an einigen Stellen zerrissen war.
    Heller legte als nächstes die Füße frei. Sie steckten in kleinen braunen Schuhen. Irgend etwas zwang ihn, die Leiche immer weiter auszugraben. Er ging dabei sehr vorsichtig vor, um den Leichnam nicht zu beschädigen. Schließlich war die Frau bis zu den Hüften sichtbar. Sie lag auf dem Rücken, die Beine etwas angewinkelt.
    Heller grub weiter. Ein schlanker Arm kam zum Vorschein. Die kleinen Finger waren zu Fäusten geballt. Dann sah Heller ein zerrissenes Hemd das halb aus dem Rock hing.
    Sekundenlang hielt er inne. Er gierte nach einer Zigarette und einem Bier, doch er konnte einfach keine Pause machen. Bald hatte er auch den Oberkörper freigelegt. Feste, hohe Brüste zeichneten sich unter dem zerfetzten Hemd ab.
    Heller warf die Schaufel zu Boden und buddelte mit den Händen weiter. Er arbeitete wie ein Besessener. Sein Gesicht war mit Schweiß bedeckt. Staub wirbelte auf. Er mußte niesen. Seine Finger berührten langes, korngelbes Haar. Deutlich spürte er unter der dünnen Erdschicht die Konturen des Gesichtes.
    Seine Bewegungen wurden langsamer. Ein Kinn kam zum Vorschein, dann tauchten der verzerrte kleine Mund, eine winzige Nase, eingefallene Wangen und schließlich die Augen, die weit geöffnet waren, auf. Er konnte die Farbe der Augen nicht erkennen und blies die Erdkrumen fort. Es waren die ausdrucksvollsten Augen, die Heller je gesehen hatte. Sie waren dunkelbraun und schienen durch ihn hindurchzusehen.
    Er richtete sich auf. Die Tote war höchstens zwanzig. Ein unwahrscheinlich hübsches Mädchen. Heller war einige Sekunden ganz versunken in ihren Anblick. Es sah so aus, als würde sie nur schlafen.
    Nochmals kniete er nieder und streckte zögernd die rechte Hand aus, zog sie aber gleich wieder zurück. Ihr Gesicht war eiskalt.
    In diesem Augenblick bewegte sich die Tote. Sie hob den rechten Arm hoch, dann den linken.
    Heller hielt den Atem an, riß den Mund auf, und seine Augen weiteten sich.
    Die Tote setzte sich. Ihre Augen waren noch immer starr. Sie schüttelte den Kopf, und das lange Haar wehte um ihre schmalen Schultern.
    Ein eisiger Hauch griff nach Hellers Herz. Mit beiden Händen griff er sich an die Brust und keuchte.
    Das Mädchen sah Heller in die Augen. Seine Brust hob sich heftiger. Der Schmerz wurde unerträglich. Er röchelte, dann setzte sein Herz aus. Wie ein gefällter Baum fiel Heller um und blieb tot liegen.
    Das Mädchen stand auf. Langsam wurden ihre Bewegungen natürlich. Sie klopfte sich den Staub vom Rock, stopfte das zerfetzte Hemd hinein und fuhr sich durchs Haar.
    Mehr als eine Minute blieb sie unbeweglich stehen, dann machte sie zögernd einen Schritt.
    Im Tunnel herrschte Dämmerlicht, doch mit jedem Schritt kam sie dem grellen Sonnenlicht näher. Nach etwa fünfzehn Schritten wurden ihre Bewegungen sicher. Sie schritt rascher aus.
    Zwei Arbeiter blickten ihr verwundert entgegen.
    „Schau dir mal die an!“ sagte der eine.
    „Wo kommt sie her?“ fragte der andere. „Fräulein wo …“
    Das Mädchen beachtete ihn nicht. Sie ging an den beiden Männern vorbei, die ihr verdutzt nachsahen, erreichte das Ende des Tunnels und befand sich nun mitten in der gewaltigen Baugrube.
    Einer der Vorarbeiter lief auf das Mädchen zu.
    „Wo kommen denn Sie her?“ herrschte er sie an. „Können Sie nicht lesen? Es ist verboten, die Baustelle zu betreten. Ich werde …“
    Das Mädchen sah ihn an. Mit ihrem starren Blick erstickte sie seine Worte. Sie ging an ihm vorbei, und die Starre fiel von ihm ab.
    „Fräulein“,
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