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0664 - Der Vampir von Denver

0664 - Der Vampir von Denver

Titel: 0664 - Der Vampir von Denver
Autoren: Claudia Kern
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fort, »steht sie morgen früh bei der Polizei und erzählt alles, darauf wette ich mit dir. Oder sie geht zur Presse, und wir haben die Kamerateams in der Stadt! Ich weiß nicht, welche Katastrophe größer wäre.«
    »Und wenn sie nach dem Ritual nirgendwo hingeht?« warf Qian ruhig ein.
    Chang lehnte sich auf dem unbequemen Holzstuhl zurück und sah ihn an.
    Seit Jahren arbeiteten sie zusammen, um Kuang-shi und das Geheimnis des Viertels zu schützen. So wie Eric und John auch hatten sie die wichtige Aufgabe von ihren Vätern übernommen, denen sie von ihren Vätern übertragen worden war. Auf diese Weise ließ sich die Linie ihrer Familien über fast tausend Jahre zurückverfolgen. In der ganzen Zeit hatte es eine goldene Regel gegeben: Nur wer sich gegen Kuang-shi wandte, oder unwürdig erschien, in seiner Nähe zu leben, durfte getötet werden. Niemand sonst, vor allem keine Außenstehenden.
    Mit seinem locker dahin geworfenen Satz stellte Qian eine Jahrtausende alte Tradition in Frage.
    »Ich hoffe, du weißt nicht, was du gerade gesagt hast«, antwortete Chang tonlos.
    Qian lachte und begann in dem kleinen Büro auf und ab zu gehen.
    »Das weiß ich sehr gut. Ich habe vorgeschlagen, daß wir die Fremde einweihen und dann töten. Wenn wir es nicht tun, wird Kuang-shi erwachen, und die Arbeit unserer Ahnen und Urahnen wird umsonst gewesen sein. Kuang-shi wird alles vernichten.«
    Er blieb stehen und sah die drei Männer nacheinander an. »Die Rechnung ist einfach: Wir töten die Frau, Kuang-shi schläft weiter. Wir töten sie nicht, Kuang-shi erwacht. Eine Leiche gegen Tausende. Also, wie lautet eure Entscheidung?«
    John und Eric sahen Chang erwartungsvoll an. Sie trugen immer noch die dunklen Kutten, hatten nur die Kapuzen abgelegt. Sie sehen aus wie Henker, dachte William mit leichtem Schaudern, während er zum zweiten Mal an diesem Tag eine Entscheidung traf, an die er nicht glaubte und die er verabscheute. Aber er wußte auch, daß er keine Wahl hatte. Qian hatte einfach die besseren Argumente.
    »Ich unterstütze deinen Vorschlag. Wir führen das Ritual mit der Fremden durch. Ist jemand anderer Meinung?«
    John und Eric schüttelten erleichtert den Kopf. Die Krise war vorbei.
    Und das Schicksal der Fremden besiegelt.
    ***
    Jin Mei rannte verängstigt durch die abendlichen Straßen. Sie rechnete jeden Moment damit, von hinten gepackt zu werden und die schwarzen Kutten der Priester zu sehen. Ihr Herz klopfte wie wild und die kühle Luft brannte in ihren Lungen. Immer wieder sah sie zurück, konnte aber weder einen Verfolger noch Nicole erkennen. Sie hoffte, daß ihr ebenfalls die Flucht gelungen war und nahm sich vor, sie zu fragen, wo man lernen konnte, so zu kämpfen. Jin Mei wollte nie wieder hilflos sein.
    Einige Minuten später sah sie endlich die Fassade des Hotels vor sich. Vor der breiten Eingangstür blieb die Chinesin stehen und atmete einige Male durch, um wieder zu Atem zu kommen. Sie wollte nicht wie eine Irre erscheinen, wenn sie die Lobby betrat. Hier in der Innenstadt waren die Sicherheitsdienste der Hotels nicht zimperlich, wenn ihnen eine unbekannte. Person merkwürdig vorkam.
    Nach einem Moment des Wartens und der Beruhigung strich Jin Mei sich die Haare aus dem Gesicht und betrat die Lobby. Leise Musik drang aus verborgenen Lautsprechern in die sanft beleuchtete kleine Halle, die erstaunlich geschmackvoll mit einigen chinesischen Antiquitäten eingerichtet war.
    Fälschungen, erkannte Jin Mei auf den ersten Blick. Sie lächelte dem Nachtportier, einem Weißen, wie sie erstaunt bemerkte, kurz zu und ging zum Fahrstuhl, dessen Türen sich sofort öffneten. Vielleicht ist Nicole ja bereits im Hotel angekommen und wartet auf mich, dachte Jin Mei und gestand sich ein, daß sie Angst davor hatte, allein zu sein.
    Wer konnte schon sagen, wie viele Augenpaare ihre Flucht verfolgt hatten? Es beruhigte sie, daß der Nachtportier kein Chinese war, aber das war keine Garantie dafür, daß er kein Teil des riesigen Spinnennetzes war, von dem Chinatown durchzogen wurde. Nur, wer die Spinne war, die in der Mitte des Netzes saß, hatte Jin Mei noch nicht herausgefunden.
    Sie stieg im fünften Stock aus dem Fahrstuhl und ging den langen, mit Teppichen ausgelegten Gang entlang, der jeden ihrer Schritte dämpfte. Zimmer 523, hatte Nicole gesagt. Jins Augen glitten suchend an den dunklen Zimmertüren entlang. 517, 519, 521.
    Jin Meis Schritte beschleunigten sich. Hoffentlich war alles gut gegangen…
    Im
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