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0641 - Grabgesang

0641 - Grabgesang

Titel: 0641 - Grabgesang
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Anpassung an die damaligen Sprachen - allein was Satzbau und Aussprache anging, unterschieden sich das moderne Französisch und das aus der Zeit des Sonnenkönigs doch erheblich. Zur Not konnte man sich zwar auf regionale Dialekte herausreden, aber das half nicht weiter, wenn es im Ernstfall darauf ankam, rasch genug bestimmte Begriffe zu begreifen, die einst eine ganz andere Bedeutung gehabt hatten als heute.
    Nun waren Zamorra und Nicole nicht zum ersten Mal in jener Epoche und konnten auf Vorkenntnisse zurückgreifen. Mit Geld und Kleidung sah es ähnlich aus; beide besaßen noch ihr komplettes Outfit und auch die damals gültigen Münzen. Allerdings rebellierte Nicole diesmal, was Kleidung anging. »Die Sachen sehen zwar fantastisch aus, aber sie stempeln mich auch ab. Und zwar als Weibchen, das gefälligst schutzlos, heimisch, brav, fromm und verfügbar zu sein hat. In dieser Rolle nütze ich dir aber ziemlich wenig.«
    »Und was schwebt dir vor?« fragte Zamorra kopfschüttelnd. »Vergiß nicht, daß das Frauenbild jener Zeit eben tatsächlich so archaisch ist.«
    »Archaisch?« Nicole schüttelte den Kopf. »Selbst im Altertum, bei Römern, Griechen, Ägyptern und erst recht den Germanen beziehungsweise Kelten oder wie auch immer man sie bezeichnen mag, war das Ansehen der Frauen größer, wurden sie besser respektiert. Das archaische Frauenbild war gar nicht mal so schlecht. Aber Barock und Renaissance lebten noch von der mittelalterlichen Vorsteinzeit, was diese Dinge angeht. Ich werd's wohl nie begreifen, wie die halbe Welt sich so verdummbeuteln lassen konnte. Die Frau als Trägerin der Erbsünde - weißt du eigentlich, daß die Vertreter unserer christlichen Kirche im Mittelalter der festen Überzeugung waren, daß Frauen im Gegensatz zu Männern keine Seele besäßen?«
    »Inzwischen ist die Kirche erfreulicherweise etwas moderner geworden«, sagte Zamorra.
    »Ja. Die Verwendung von Handys und Kreditkarten wird nicht mehr als beichtfähige Sünde angesehen«, sagte Nicole sarkastisch.
    »Komm auf den Teppich«, mahnte Zamorra. »Ohne die Kirche und ihr Engagement überall in der Welt ginge es vielen Menschen wesentlich schlechter. Zudem gibt sie uns einen festen Halt und - Hoffnung. Und das ist das beste, was unserer Spezies jemals passieren konnte. Es ist wie ein Licht, das uns führt und dem wir vertrauen können.«
    Nicole nickte.
    »Weiß ich doch. Nimm's nicht so ernst, was ich gesagt habe. Pack's in die gleiche Kiste wie die Bekleidungs-Formalitäten.«
    »Womit wir wieder beim Thema sind«, sagte Zamorra. »Wenn du nicht in der zeitgenössischen Krinoline auftreten willst, wie dann?«
    »Wie Gustav Adolfs Page.«
    »Och nöö.« Zamorra verdrehte die Augen. »Das ist doch der falsche Film. Darf ich dich flüchtig daran erinnern, daß der dreißigjährige Krieg ein paar Tage vor der Ära des vierzehnten Ludwigs stattfand?«
    »Darfst du freundlicherweise«, sagte Nicole. »Im Gegenzug kann ich dir mit den genauen Jahreszahlen dienen, sofern man der Geschichtsschreibung dahingehend vertrauen darf. Ich meinte es aber auch ein bißchen anders. Kurzes Haar, weite Männerkleidung, das müßte doch eigentlich gehen?«
    »Solange du dir nicht einen falschen Bart anklebst, der bei jeder unpassenden Gelegenheit herunterfällt«, brummte Zamorra. »Bist du sicher, daß du das willst? Als Mann auftreten?«
    »Als Jüngling«, sagte sie. »Das einzige wirkliche Problem dürfte es sein, mich wie ein Mann zu bewegen. Bekanntlich schwingt das breitere Becken einer Frau anders als das schmalere eines Mannes. Aber das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, daß ich als Frau entlarvt werde und bei der zivilisierten Bevölkerung in Ungnade falle.«
    »Es könnte auch sein, daß ein paar heldenhafte Männer sich vergackeiert fühlen und auf die Idee kommen, es dir heimzuzahlen, indem sie dich ein kleines bißchen vergewaltigen.«
    »Dann müssen sie eben damit rechnen, daß ich sie ein kleines bißchen töte«, sagte Nicole ernst.
    »Mal vorsichtig«, warnte Zamorra. »Abgesehen von moralischen und juristischen Aspekten haben wir da noch den temporären Aspekt. Vielleicht bringst du gerade einen der Vorfahren des aktuellen US-Präsidenten um. Was ein paar kleine, fatale Folgen nach sich ziehen könnte…«
    »Zum Beispiel, daß es einen Bill Clinton niemals gäbe und der gute Mister Kenneth Starr somit nicht nur die wichtigste Ermittlungsarbeit aller bekannten Universen nicht führen müßte, sondern auch keinen
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