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0641 - Grabgesang

0641 - Grabgesang

Titel: 0641 - Grabgesang
Autoren: Werner Kurt Giesa
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kaum!
    Zögernd näherte Eva sich dem Grauschimmel. Hinter dem Sattel war eine Deckenrolle festgezurrt, und rechts und links hingen schwere Packtaschen herunter. Ein langläufiger Vorderlader steckte im Sattelschuh.
    Je näher Eva dem Pferd kam, desto unbehaglicher wurde ihr zumute. Verschwinde, schien das Tier ihr Zurufen zu wollen. Geh weg von hier, solange du noch kannst…
    Zu Pferden hatte sie immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Kurz blitzten Erinnerungsbilder in ihr auf. Das Einhorn, auf dem sie geritten war… vor Wochen, als sie an der italienischen Küste auftauchte… [4]
    Es war bereits wieder verschwunden gewesen, als Zamorra kam und sie nach Frankreich holte. Zurückholte, wie er sagte. Seinen Worten zufolge war sie zuvor schon einmal für einige Wochen dort gewesen. Aber sie konnte sich nicht daran erinnern.
    Alles um sie herum war so rätselhaft…
    Sie hätte viel darum gegeben, ein ganz normales Leben führen zu können. Aber das war ihr durch ihre seltsame Para-Gabe verwehrt, vor allem aber auch durch ihre fehlenden Erinnerungen. »Im Grunde bist du doch darauf angewiesen, daß andere ehrlich zu dir sind. Sie könnten dir alles Mögliche erzählen, und du hättest keine Möglichkeit, es auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen«, sagte der graue Mann.
    Sie zuckte heftig zusammen und fuhr herum.
    Sie hatte nicht gesehen, daß er die Kommandantur wieder verlassen hatte. Aber plötzlich stand er da. Hohe Stulpenstiefel aus dunkelgrauem Leder, eine graulederne Hose, ein kurzer Mantel aus grauem, schwerem Stoff und ein breitrandiger Schlapphut aus grauem Filz, an dem ein paar Adlerfedern steckten. Hinter dem Gürtel steckten eine Pistole und ein Jagdmesser mit langer, breiter Klinge, fast schon ein Kurzschwert. Über den Rücken hatte er sich ein weiteres Gewehr gehängt, und am Gürtel baumelten Kugel- und Pulverbeutel. Die Hände steckten in ledernen Handschuhen.
    Eva schluckte.
    Er konnte überhaupt nicht aus dem Blockhaus gekommen sein. Sie hatte die Tür doch die ganze Zeit über sehen können, während sie vom Quartierhaus herübergekommen war. Aber da hatte sich nichts bewegt. Da stand nur das Pferd am Rack, und nun stand der graue Mann ein paar Meter entfernt einfach da.
    Und hatte sie angesprochen.
    Auf eine Weise, die sie zutiefst erschreckte, denn er hatte mit seinen Worten ihre Gedanken fortgesetzt…
    »Wer seid Ihr?« fragte sie stockend.
    »Niemand«, erwiderte der Graue.
    ***
    »Pferde sind kein Problem«, erklärte Robert Tendvke und schmunzelte. »Wollt ihr vielleicht Diable haben?«
    »Vergiß die Bestie«, winkte Nicole ab. »Ganz normale Pferde reichen. Dein Untier läßt doch außer dir und den Zwillingen eh niemanden auf sich sitzen.«
    »Untier…«, echote Tendyke langsam. »Bestie… ja, so könnte man es nennen, dieses Höllengeschenk.« Anläßlich seines 500. Geburtstags hatte Sid Amos, seines Zeichens einstiger Fürst der Finsternis, seinem Sohn Robert Tendyke diesen schwarzen Hengst zum Geschenk gemacht. [5]
    »Die Idee mit den Pferden ist jedenfalls gut«, fuhr er fort. »Denn nachdem wir uns damals trennten, habe ich Eva zum Franzosen-Fort zurückgebracht. Und dort gibt es keine Regenbogenblumen. Zumindest meines Wissens nicht. Und selbst wenn, würden sie euch wenig nützen, falls Eva nicht mehr in der Nähe sein sollte, wenn ihr eintrefft. Denn eine bildhafte Vorstellung von der damaligen Anlage habt ihr nicht, und ich kann sie euch auch nicht vermitteln. Es ist zu lange her. Ich habe nur noch einen schwachen Eindruck von der Anlage, weiß nicht einmal, wie groß sie damals war oder wie die Gebäude innerhalb des Palisadenkomplexes angeordnet waren…«
    Das war das Handicap dieser an sich schnellen und unkomplizierten Methode, innerhalb weniger Sekunden riesige Distanzen zu überwinden: wer die Regenbogenblumen benutzte, mußte eine konkrete Vorstellung von seinem Ziel haben. Das konnte eine markante Landschaftsformation sein, ein Gebäude oder eine Person. Die Blumen mußten in unmittelbarer Nähe dieses Ziels blühen.
    Falls es wirklich in der Nähe des damaligen Forts diese fantastischen magischen Blumen gab, deren immerblühende Kelche mannsgroß waren und in allen Farben des Regenbogenspektrums schillerten, und Eva befand sich zu jenem Zeitpunkt noch in der Nähe, war alles gut. Aber wenn sie sich inzwischen woanders hin gewandt hatte, fand kein Transport statt - auch nicht, wenn es am Ziel eben keine Blumen gab.
    »Ihr müßtet also die Blumenkolonie
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