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0640 - Hexentränen

0640 - Hexentränen

Titel: 0640 - Hexentränen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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normalen Maßstäben messen durfte. Daß sie geschrumpft war. Ein normaler Backstein war jetzt fast so groß wie ein ganzes Zimmer in ihrem Haus.
    Hier waren viele Backsteine aufeinander geschichtet. Die obere Kante des gewaltigen Mauerwerks befand sich in schwindelerregender Höhe.
    Dennoch erkannte sie, worum es sich handelte.
    Um einen Brunnen.
    Sie wußte sofort, daß es der Brunnen war.
    Der Jungbrunnen…
    Sie hatte ihr Etappenziel erreicht!
    Tief atmete sie durch. Wie sollte sie da oben hinaufkommen, an den Brunnenrand?
    Ihr Ofen konnte doch fliegen!
    Sie trieb ihn dazu an. Es gefiel ihm nicht, denn durch all die Geschehnisse war er kaum weniger ›erschöpft‹ als seine Herrin. Aber er gehorchte. Nach anfänglichen Schwierigkeiten schaffte er es tatsächlich, den gemauerten Brunnenrand zu erreichen und auf ihm zu ›landen‹.
    Er taumelte ein wenig. Yaga wußte, daß sie ihm nicht mehr sehr viel zumuten durfte.
    Sich selbst aber auch nicht. Sie war mit ihren Kräften am Ende. Aber sie durfte sich jetzt keine Ruhe gönnen. Wenn sie jetzt abermals einschlief und zu träumen begann, würde selbst der Ofen sie nicht mehr aufwecken können.
    So weit durfte es nicht kommen.
    Sie trat an den Innenrand der Ummauerung.
    Das Wasser war so unendlich tief unter ihr… Wasser? Nein, das war kein wirkliches Wasser. Es sah nur so aus und besaß auch die physikalischen Eigenschaften von Wasser. In Wirklichkeit war es etwas ganz anderes.
    Es war pure Magie, die sich hier manifestierte.
    Und sie war unerreichbar tief. Yaga besaß keine Möglichkeit, an dieses Wasser heranzukommen. Selbst mit den Flugkünsten des Ofens nicht. Auf Wasser konnte er nicht landen. Das schwere Stück Eisen würde sofort versinken.
    Aber Yaga brauchte dieses Wasser, um ihre Kräfte zu erneuern!
    Es gab für sie nur noch eine Möglichkeit.
    Sie setzte alles auf eine Karte.
    Sie legte ihre Kleidung ab, und so wie sie anfangs sich im Licht des Vollmonds gebadet hatte, um sich zu verjüngen, so sprang sie jetzt einfach in den Brunnen hinein.
    Wie sie wieder hinauskommen wollte, war eine andere Sache.
    Das Problem verschob sie auf später.
    Das magische Wasser schlug über ihr zusammen.
    ***
    Merlin spürte es wie einen Stich ins Herz.
    Der Wald signalisierte ihm, was geschah. Zuvor die Erinnerungsbilder, die Träume… sie hatten eine bestimmte Bedeutung, die er immer noch nicht völlig begriff. Aber er begriff jetzt, daß Baba Yaga genau dort angelangt war, wo er sie niemals hatte haben wollen.
    Unwillkürlich stöhnte er auf.
    Jetzt half nichts mehr.
    Jetzt mußte er retten, was noch zu retten war - ganz gleich, auf welche Weise. Was zählten nun noch Versprechungen?
    Es ging um mehr - um mehr als alles.
    Er konnte nur hoffen, daß er noch rechtzeitig eintraf, um das Schlimmste zu verhindern…
    ***
    Yaga versank. Sie war aus vergleichsweise großer Höhe gesprungen, und der Impuls jagte sie tief in das Wasser hinab. Verzweifelt versuchte sie, sich abzubremsen, aber es wollte ihr nicht recht gelingen. Erst, als sie festen Grund unter den Füßen spürte, kam sie zum Stillstand.
    Aber jetzt wieder nach oben?
    So viel Luft hatte sie nicht mehr in ihren Lungen.
    Sie würde ertrinken!
    Sie öffnete den Mund.
    Aber nicht, um einzuatmen. So viel Selbstkontrolle besaß sie trotz ihrer Erschöpfung immer noch. Statt dessen trank sie. Nahm einen kräftigen Schluck vom Wasser des Jungbrunnens. Und noch einen, einen dritten…
    Dann wollte ihr die Luft endgültig ausgehen. Sie mußte jetzt einatmen, ob sie wollte oder nicht…
    Da stieß ihr Kopf durch die Wasseroberfläche!
    Yaga war wieder gewachsen!
    Die Schrumpfung wurde rückgängig gemacht. Ihre intuitive Entscheidung, sich in den Brunnen zu stürzen und von seinem Wasser zu trinken, war richtig gewesen.
    Sie wuchs!
    Auf der Mauerkante wuchs auch der Ofen, der plötzlich auf dem in Wirklichkeit doch recht schmalen Sims keinen ausreichenden Halt mehr fand, sekundenlang ins Wasser zu stürzen drohte und dann doch gerade noch rechtzeitig nach draußen wegkippen konnte.
    Wieder schepperte es gewaltig.
    Unterdessen mußte Yaga schon auf die Knie sinken, um Wasser schöpfen zu können.
    Sie wuchs immer noch.
    Der Wasserspiegel des Jungbrunnens aber sank rapide ab!
    Für jeden Schluck, den die Hexe nahm, schien jemand einen ziemlich großen Eimer voll abzuschöpfen!
    Noch ein Schluck… kaum noch war etwas vom Wasser übrig…
    Es konnte Yaga nicht durch die Finger rinnen, als sie es schöpfte und aus den
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