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063 - Das Verrätertor

063 - Das Verrätertor

Titel: 063 - Das Verrätertor
Autoren: Edgar Wallace
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Begleiter Richard Hallowell fand nicht den Mut, darüber zu lächeln.
    Hier beklagte Jugend das Dahinscheiden der Jugend. Ein junges Mädchen beugte sich mitleidig über die Stelle, wo damals Janes langes Haar über ihr Haupt geschlungen wurde, damit das Henkerbeil ungehindert seine grauenvolle Arbeit verrichten konnte. Er konnte ihr vollendet schönes Profil sehen. In dieser trauernd geneigten Haltung sah ihre Gestalt noch viel graziöser aus als sonst. Ihre zarte, reine Gesichtsfarbe hob sich wundervoll von dem grauen Hintergrund des alten Mauerwerks ab. Die Tragödie des ehrgeizigen Somerset wirkte durch die Anwesenheit dieses schönen, jungen Mädchens nur noch bitterer und schmerzlicher.
    »War es nicht schrecklich? Sie wohnte in King’s House… Von dem Fenster aus sah sie, wie man ihren toten Gatten forttrug… «
    »Hope, Sie machen den lachenden Morgen durch solche Betrachtungen todtraurig!«
    Sie lächelte ihn schnell an und legte ihre Hand auf seinen Arm.
    »Ja – es ist nicht richtig von mir, Dick! Ich will es lassen. Ist der prächtige Offizier dort nicht Bobby?«
    Die lange, schlanke Gestalt des wachhabenden Offiziers erschien unter der Veranda des Wachthauses.
    »Ja, das ist Bobby. Gestern abend kam er vom Urlaub zurück, und heute macht er seine erste Wache.« Dick lachte leise. »Er ist ein geborener Müßiggänger – ein klein wenig Tätigkeit befriedigt ihn vollkommen.«
    »Das ist das erstemal, daß Sie heute gelacht haben«, hielt sie ihm vor. Er hätte ihr gern gesagt, daß er an diesem Morgen wenig Grund zum Fröhlichsein hatte, aber er schwieg.
    Dick Hallowell sah in der schwarzen, tadellos sitzenden Offiziersuniform mit der feuerroten Binde sehr gut aus. Er war einen Kopf größer als Hope. Seine grauen Augen blickten kühn und klar in die Welt. In seinem Gang lag die Geschmeidigkeit und Biegsamkeit des trainierten Sportlers.
    »Nun habe ich Ihnen alles gezeigt«, sagte er. »Ich hoffte, es würde den ganzen Tag dauern.«
    Sie lachte leise.
    »Das ist nicht wahr! Sie sind ganz unruhig geworden und möchten mich gern los sein, seitdem Ihr Bursche kam. Wartet jemand auf Sie?« Bevor er antworten konnte, fuhr sie fort: »Ich bin eine geborene Hellseherin – und außerdem kenne ich den Tower schon sehr gut. Aber ich wollte zu gerne einmal sehen, wie Sie eigentlich in Uniform aussehen!«
    Als sie sprach, kam ihr mit Bedauern zum Bewußtsein, daß sie sich erst kurze Zeit kannten. Vor nicht ganz einem Monat waren sie einander begegnet. Sie hatte eine Bootsstange im schäumenden Kielwasser eine s Dampfers auf der Themse verloren und sich mit ihrem Boot im Weidengestrüpp verstrickt. Er ruderte herbei, um sie zu befreien, und war sehr ausgelassen. – Jetzt gingen sie dem Löwentor zu. Unter einem Torbogen machten sie halt und schauten zusammen auf die düstere Holzschranke, hinter der der Fluß lag.
    »Das Verrätertor!«
    Sie schauderte, wußte aber nicht, warum.
    »Ja – das Verrätertor«, nickte er, »ein altehrwürdiges Tor heutzutage. Man denkt kaum noch daran, daß Königinnen und Hofleute diese Stufen betraten.«
    Sie lachte wieder, dann gingen sie weiter. Die Schildwachen salutierten. Jetzt erreichten sie die geschäftige Welt von Tower Hill. Schwere, mit Kisten hochbeladene Lastwagen ratterten an ihnen vorbei. Vom nahen Billingsgate zog Fischgeruch herüber.
    Hopes schönes Auto hielt am Straßenrand. Dick öffnete den Schlag.
    »Wann werde ich Sie wiedersehen?«
    Sie lächelte bei seiner Frage.
    »Wann Sie wollen. Mein Name steht im Telefonbuch.«
    »Was unternehmen Sie jetzt?«
    Sie machte kein frohes Gesicht.
    »Ich habe eine unangenehme Unterredung vor mir«, sagte sie.
    Er schaute sie groß an, denn auch ihm stand ähnliches bevor, aber er sagte ihr nichts davon.
    Er sah ihrem Wagen nach, bis er außer Sicht war. Dann ging er den Hügel hinunter, über die Brücke, die den alten Festungsgraben überspannt. Er lächelte nicht mehr, und nicht einmal der stumme, aber beredte Gruß, den Bobby ihm zunickte, als er durch die Wachstube ging, konnte die bösen Wolken von seiner Stirn verscheuchen.
    Am Eingang seiner Wohnung wartete Brill, sein Bursche, und meldete einen Besucher.
    »Der Herr bat mich, Sie zu suchen. Er hätte eine Verabredung mit Ihnen.«
    Dick Hallowell nickte langsam.
    »Ich brauche Sie in der nächsten Viertelstunde nicht, Brill«, sagte er. »Sie bleiben an der Tür, und wenn jemand kommt, sagen Sie, daß ich sehr beschäftigt sei.«
    »Jawohl, Sir Richard.«
    »Und
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