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0623 - Odyssee des Grauens

0623 - Odyssee des Grauens

Titel: 0623 - Odyssee des Grauens
Autoren: Werner Kurt Giesa
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unsichtbar sein, und wenn man den Kapitän nicht sehen könne, existiere er auch gar nicht? Natürlich existiert er!«
    »Dann können wir ja auch zu ihm gehen.«
    »Nur über meine Leiche!« protestierte Sadr.
    Zamorra, der Degen und Dolch längst schon ihren Besitzern zurückgegeben hatte, lachte auf. »Ich denke, du kannst nicht sterben?«
    »Ach, mit euch kann man nicht vernünftig reden! Geht jetzt, laßt euch von Bob eure Kojen zeigen und laßt den Kapitän in Ruhe.«
    »Wir werden ihn schon noch sehen«, sagte Nicole.
    »Sehen bestimmt nicht«, rief Sadr hinter ihnen her.
    Zu zweit schlenderten sie über das Deck zurück. Das Schiff bewegte sich kaum. Das aufgewühlte Kielwasser und die vollen Segel bewiesen, daß es Fahrt machte, aber es gab kaum ein Schwanken und Zittern. Immer noch war die See unglaublich ruhig, fast wie ein Binnengewässer bei Flaute.
    Über ihnen knarrten und knarzten Masten und Taue, knallten die Segel hin und wieder im Wind, und zwischen ihnen tanzte der leuchtende Irrwisch wie der Klabautermann selbst hin und her. Zamorra trat an die Reling und lehnte sich an das Holz, das hier nicht ganz so morsch und modrig wirkte.
    Auf den äußeren Zustand des Schiffes legte man offenbar mehr Wert als auf den inneren…
    »Was hältst du davon, Nici?«
    Nicole zuckte mit den Schultern.
    »Es kommt mir ziemlich bizarr vor«, sagte sie. »Eine zusammengewürfelte Mannschaft aus Karnevalsgestalten, ein angeblich unsichtbarer Kapitän, der aber vermutlich nur in der Phantasie einiger Leute hier besteht, und der Verwesungsgeruch unter Deck! Chef, da ist was faul.«
    »Was man ja deutlich riechen kann«, bemerkte Zamorra launig.
    »Ich meine es ernst«, sagte Nicole. »Wenn niemand, der an Bord ist, sterben kann, warum riecht es dann unter Deck nach Verwesung?«
    »Wir werden uns das Schiff noch sehr genau ansehen. Dann finden wir es heraus. Bisher haben wir ja nur gesehen, was Ahmed ibn Sadr uns gezeigt hat.«
    »Wenn es stimmt, daß es kein Essen und kein Wasser an Bord gibt, wird es hart«, sagte Nicole. »Ohne Wasser werden wir innerhalb weniger Tage sterben, auch wenn wir einst von der Quelle des Lebens getrunken und uns damit die relative Unsterblichkeit erworben haben. Eben nur die relative…«
    »Auch das werden wir sehen. Spürst du eigentlich Durst oder Hunger?«
    Verwundert schüttelte Nicole den Kopf. »Im Moment nicht. Gott sei Dank! Wieso fragst du?«
    »Weil es mir genauso geht. Kein Hunger, kein Durst. Dabei haben wir vor vielen Stunden zum letzten Mal etwas gegessen und getrunken - im Château, ehe wir aufbrachen, um durch das Weltentor zur Hölle zu gehen. Dort war es anstrengend und stellenweise ziemlich heiß, wir haben geschwitzt und dadurch Körperflüssigkeit verloren - wir müßten ganz einfach durstig sein. Aber wir sind es nicht.«
    »Du meinst…?«
    »Ich hoffe, und ich fürchte«, gestand Zamorra. »Einerseits hoffe ich, daß wir nicht verdursten müssen, wenn es hier wirklich keine Frisehwasservorräte gibt. Andererseits aber würde es bedeuten, daß wir tatsächlich den gleichen Zwängen unterliegen wie diese Schiffsmannschaft. Und daß wir somit hier festsitzen wie sie alle.«
    »Sie haben keine magischen Hilfsmittel«, sagte Nicole. »Im Gegensatz zu uns. Wir können uns mit Magie den Weg in die Freiheit erzwingen.«
    »Vielleicht auch nicht. Immerhin haben einige von ihnen viele Jahrhunderte Zeit gehabt, darüber nachzudenken und es zu versuchen. Und ich glaube nicht, daß sie alle der Magie gegenüber so ignorant sind wie Ramirez. Der Mongole, der Römer, auch der Araber - allein sie haben bestimmt versucht, alles, was sie über Magie wissen, zusammenzukratzen und auszuprobieren, und wenn man Jahrhunderte zur Verfügung hat, kann eine ganze Menge dabei herauskommen. Aber sie sind alle noch hier. Keiner hat es geschafft, diesen Fluch zu brechen.«
    »Wobei mir auffällt, daß du nach diesem Fluch fragst, seit wir hier angekommen sind, und jeder immer den Fragen ausweicht!«
    »Ahmed sagte, Bob solle uns unser Quartier zeigen. Vielleicht können wir ihn dabei überreden, uns mehr zu erzählen.«
    Konnten sie nicht.
    Bob war stumm. Als er Sklave war, hatte sein Herr ihm die Zunge abschneiden lassen. Das einzige, was er an Lautäußerungen hervorzubringen vermochte, war ein unartikuliertes Lallen. Und das ließ er lieber bleiben.
    Statt dessen verständigte er sich durch Handzeichen, die natürlich in kein Gebärdensprache-System paßten, das Zamorra oder Nicole bekannt
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