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0560 - Der Rattenmensch

0560 - Der Rattenmensch

Titel: 0560 - Der Rattenmensch
Autoren: Jason Dark
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hatte Mühe, einen Schrecken zu unterdrücken. Diese Person mußte uralt sein. Eine Haut wie Baumrinde, gezeichnet von einem Leben mit sehr wechselvoller Geschichte. Trotz des hohen Alters wirkten die Augen recht wach.
    »Wer bist du?« fragte ich.
    »Lorri, eine Zigeunerin. Ein kleines Rad im Getriebe der Zeiten.«
    Sie seufzte und nahm wieder auf ihren Fellen Platz.
    Ich blieb stehen und lauschte. Von draußen hörte ich nichts. Keiner der Häscher fuhr die Hütte an. Die Stille lag wie Blei über der näheren Umgebung.
    »Du solltest dich hinsetzen«, sagte die alte Frau. »Es ist besser so. Ich will nicht, daß du stehst.«
    »Danke.« Ein alter Hocker bot mir Platz. Wir schauten uns an.
    Zwischen uns baumelte die alte Petroleumlampe von der Decke. Sie brannte ruhig. Schatten waren fast nicht vorhanden. Wenn sie über den Boden tanzten, dann stammten sie vom flackernden Kaminfeuer.
    »Ein Fremder kommt aus einem fernen Land, junger Mann. Ist das nicht so?«
    »Im Prinzip schon. Ich komme aus England.«
    Sie nickte. »Du bist etwas Besonderes, das spüre ich. Du trägst etwas bei dir, das nicht jeder hat.«
    »Ja, ein Kreuz.«
    Sie lächelte. »Nicht irgendeines. Es ist ein altes Kreuz, das auch nicht jeder tragen darf. Deshalb glaube ich, daß sich der Wind des Schicksals gedreht hat, als er dich zu mir wehte. Ich freue mich über deinen Besuch und wünsche mir gleichzeitig, daß er nicht stattgefunden hätte, denn es steht einfach nicht fest, daß du derjenige bist, der alles an sich reißen und das Schicksal wenden kann.«
    »Es geht um die Ratten und deren Anführer?«
    »Ja, den Rattenmann.«
    »Wer ist es?«
    »Bist du nicht auch aus dem Zuchthaus gekommen?« fragte mich die alte Frau nach einer Weile.
    »Ich brach aus.«
    »Dann hast du ihn gesehen, denn er muß dir den Weg geebnet haben. Janos Torday.«
    »Wir saßen in einer Zelle.«
    Lorri hob den Finger. »Seinetwegen bist du gekommen. Man hat dich geholt, um den Terror zu beenden. Wie heißt du?«
    »John Sinclair.«
    »Ich heiße Lorri. Dein Name sagt mir nichts, aber was sind schon Namen in dieser Welt? Es kommt auf den Menschen an. Ich habe in meinem langen Leben viele von ihnen kennengelernt. Gute und schlechte, leider waren die meisten schlecht. Viele wollten gewisse Dinge einfach nicht sehen. Damals wie heute.«
    »Dann gibt es den Ratten-Terror schon länger?«
    »So ist es.«
    »Wie lange?«
    Lorri seufzte. »Ich kann es dir sagen, aber es ist uninteressant. Zahlen interessieren uns nicht, wirklich nicht.« Sie schüttelte den Kopf und fügte einen Satz hinzu, der mich fast erschreckte. »Ich trage daran die Schuld.«
    »Wie? An dem Rattenzauber?«
    »Du hast richtig gehört. Ich hätte ihn töten sollen, ich habe es nicht getan.«
    »Sprichst du von Janos Torday?«
    »Er ist die Person, um die sich alles dreht. Janos Torday. Ich habe ihn nicht getötet – damals.«
    »Weshalb nicht?« Es war eine dumme Frage, denn es gehört etwas dazu, einen Menschen umzubringen.
    »Weil er mein Sohn ist!«
    Das war ein Schlag. Wortlos starrte ich die alte Frau an. Gedanken über das Alter schossen mir durch den Kopf. Wie viele Jahre mochte sie zählen?
    Neunzig, weniger – mehr? Wie alt war Torday. Ich hatte ihn lange genug aus unmittelbarer Nähe gesehen. Es gibt Menschen, die man als alterslos einstufen kann. Torday konnte fünfzig, aber auch erst vierzig sein.
    »Du denkst nach?«
    »Das sieht man mir wohl an.« Ich strich fahrig über meine Knie.
    »Er ist also dein Sohn.«
    »Ich lüge nicht.«
    »Das habe ich auch nicht angenommen. Doch weiß Janos, daß du seine Mutter bist?«
    »Nein, nicht genau.« Sie schaute auf ihre Hände, als hätte sie Furcht davor, mir ins Gesicht zu sehen. »Ich glaube eher, daß er etwas ahnt. Zwar nicht die genaue Wahrheit, doch er muß spüren, daß es zwischen uns beiden etwas gibt. Ein Band verbindet uns. Wir sind uns irgendwo gleich, verstehst du das?«
    »Ich bemühe mich. Hat er nie Fragen gestellt?«
    »Das wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Dafür gibt es einen guten Grund. Er weiß nichts von seinen Eltern.«
    »Wer ist der Vater?«
    Sie blies in den Raum hinein. »Ich habe ihn vergessen. Er ist mit dem Wind gekommen, er ist mit dem Wind gegangen. Darüber will ich nicht mehr sprechen. Auch Janos habe ich nie etwas davon gesagt.«
    »Wo gibt es die Verbindung zu den Ratten?«
    »Es ist ein alter Zauber, den ich beherrschte. Ich war schwanger und stand schon in den Wehen, als ich den Rattenzauber anwandte. Ich
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