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056 - Zielort: Kratersee

056 - Zielort: Kratersee

Titel: 056 - Zielort: Kratersee
Autoren: Claudia Kern
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den Kopf zum Stadttor und sah, wie die wa rtende Menge vor einem stinkenden Metallwagen zurückwich, der langsam über die Brücke rollte. Ein zweiter heulender Ton, dann blieb der Wagen stehen.
    Die Bettler wurden sichtlich nervös. Einige rafften ihre Lumpen zusammen und liefen auf den Waldrand zu, während andere mit gesenkten Köpfen hocken blieben, als hätten sie sich mit allem abgefunden, was das Schicksal ihnen aufbürdete.
    »Hört, hört!«, rief eine Stimme aus dem Inneren des Wagens. Sie klang so laut und klar, als stünde der Sprecher direkt neben Samtha.
    »Hört, hört! Es werden Männer gesucht, starke und junge Männer. Wenn ihr die Kälte und das Abenteuer nicht fürchtet und willens seid, eine lange Reise anzutreten, erwartet ein Lohn von dreihundert Visa-Bax; hundert davon im Voraus!«
    Ein Raunen ging durch die Menge. Bettler hoben ihre Köpfe und wischten sich den Dreck aus dem Gesicht. Dreihundert Bax - das war ein Vermögen, genug, um mehrere Familien über Monate zu ernähren. Samtha dachte an Pieroo, der noch auf der Jagd gewesen war, als sie zur Stadt aufbrach. Er würde das Angebot ohne Zögern annehmen, aber sie war nicht sicher, ob sie ihm davon erzählen sollte.
    Yuli schien solche Zweifel nicht zu kennen, denn sie sprang auf und begann sich einen Weg durch die Menschen zu bahnen, die jetzt auf den Wagen zuströmten.
    »Ich sage dem Stamm Bescheid!«, rief sie. »Warte hier!«
    Dann war sie auch schon in der Menge verschwunden. Samtha blieb zurück und wiegte ihren Sohn auf den Knien. Nach einer Weile tauchte Yulis Gesicht zwischen den Fremden auf, dann Ru'aleys - und schließlich Pieroos.
    Ich habe es geahnt, dachte sie. Er wird uns verlassen…
    ***
    Professor Dr. Jacob Smythe - oder der Herr der Welt, wie er sich selbst gern nannte -, war ohne Zweifel wahnsinnig. Im tiefsten Inneren wusste er das, aber in eben diesem Inneren stand auch die bange Frage, was geschehen würde, wenn er seinen Wahnsinn zugab. Ein totaler psychischer und physischer Zusammenbruch erschien ihm wahrscheinlich, ein endloses Dahindämmern in irgendeinem Kerker beinahe sicher. Keine wünschenswerten Alternativen. Und so hatte ein kleiner Teil von Jacob Smythe beschlossen, den Wahnsinn vor dem Rest seines Bewusstseins geheim zu halten, sozusagen die Tür zu verschließen und den Weg, der dorthin führt, an einen anderen Ort umzuleiten.
    An diesem Ort, zu dem Smythe stets gelangte, wenn die Realität nicht seinen Wünschen entsprach, war er so groß wie das Universum und mächtiger als alle Gottheiten, die Menschen je angebetet hatten. Hoch thronte er über den Welten, belohnte die Gerechten gütig und weise und bestrafte Sünder erbarmungslos. Er war der Herr, ihr Gott, und sie durften keine anderen Götter neben ihm haben.
    In letzter Zeit verweilte Smythe oft an diesem Ort. Schuld an seinem Rückzug aus der Wirklichkeit waren die Ausrufer, dieses verkommene und degenerierte Pack, das es immer wieder wagte, ihn von der bevorstehenden Expedition auszuschließen - und ihm damit den Weg in den Machtbereich des Weltrats zu verweigern. Drei Mal hatte er bereits an dem Auswahlverfahren teilgenommen, drei Mal hatte er das vernichtende Urteil »zu dünn« oder »zu alt« gehört, und drei Mal hatte er getobt und geschrien, ohne damit etwas bewirken zu können.
    Heute sollte sich das jedoch ändern, denn Jacob Smythe hatte einen Plan. Bis vor die Stadt war er dem Panzer des Ausrufers g efolgt und hatte sich bei dessen ersten Worten auf eine Mauer geschwungen, von der aus er das Geschehen wie ein Geier beobachtete. Fünf Soldaten waren aus dem Panzer gesprungen und hielten die Menge mit Schlagstöcken und Elektroschockern auf Abstand. Ein sechster stand hinter ihnen auf einem kleinen Podest. Er war es, der die erste Auswahl traf und seinen Leuten signalisierte, welche Männer sie durchlassen sollten.
    Schließlich zählte Smythe zwanzig bärtige und zerlumpte Gestalten, die sich vor dem Podest des Ausrufers drängelten. Auf sein Kommando entblößten sie ihre Oberkörper, und nur Sekunden später wurde fast die Hälfte der Männer zurück in die johlende und pfeifende Menge geprügelt. Sie trugen ein Brandzeichen gut sichtbar über dem Herzen.
    Das Mal der Schande, dachte Smythe, der bei seinen drei Anläufen ähnliche Szenen beobachtet hatte. Anscheinend war es in der Gegend rund um Waashton üblich, besonders notorische Verbrecher mit einem Brandmal auf der Brust zu kennzeichnen. Solche Leute konnte die WCA auf ihrer
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