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056 - Zielort: Kratersee

056 - Zielort: Kratersee

Titel: 056 - Zielort: Kratersee
Autoren: Claudia Kern
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umgeben waren.
    Mulay dachte an den ersten Frühling in diesem seltsamen Land, an den grünen Boden, die Blätter der Pflanzen und die Blumen, deren Farbenpracht die Sinne verwirrte. Er dachte an Wasser, das ungefroren und warm aus grauen Wolken fiel und an die Sonne, deren Wärme den Schweiß auf der Haut trocknete.
    Es waren Dinge, für die sie in ihrer Sprache keine Worte kannten: Hitze, Gras, Regen, aber auch Sumpf, Flöhe, Verwesung…
    Die Gefahren der neuen Welt waren zahlreicher als ihre Wunder. Frisches Fleisch verrottete innerhalb weniger Tage, Fett wurde ranzig und fast alle Stammesmitglieder litten unter juckendem Ausschlag. Nach dem Verschwinden der Siils hatten die Krieger anfangs ratlos vor den Tieren dieses Landes gestanden, unschlüssig darüber, welche sie jagen konnten und von welchen sie gejagt werden würden.
    Ohne Pieroo, das hatte Mulay schnell erkannt, waren sie hilflos. Er und die Freundin seines Weibes Samtha - Yuli, die mittlerweile mit dem Krieger Ru'aley lebte -, stammten aus dieser Welt, hatten sich jedoch nach der Flucht aus Nuu'ork dem Stamm angeschlossen. Zu ihnen ging Mulay, wenn er nach Antworten suchte oder vor Problemen stand, die er allein nicht lösen konnte. Yuli hatte ihm gezeigt, wie man die lästigen Flöhe bekämpfte, welche Pflanzen essbar und welche giftig waren. Von ihnen lernten sie das Pökeln von Fleisch und das Sammeln von essbarem Obst, während Pieroo mit den Kriegern in die Wälder ging und ihnen die Jagd auf Deers beibrachte.
    Nur der Krankheit, die seit fast einem Mond unter den Stammesmitgliedern wütete, standen auch sie ratlos gegenüber.
    Mulay warf einen letzten verächtlichen Blick auf den Altar der Feuergötter, dann trat er hinaus ins Freie. Es war ruhig auf der Lichtung, die er als Lagerplatz erwählt hatte. Die Zelte gruppierten sich in Ringen um das fast abgebrannte Gemeinschaftsfeuer. Rauch stieg aus den Zeltspitzen hervor und verlor sich im endlos blauen Himmel. Außer einigen alten Frauen, die auf Felsen saßen und ihre Körper tief im Gebet versunken vor und zurück pendeln ließen, war niemand zu sehen. Das Lager wirkte verlassen.
    Langsam und mit hängenden Schultern begann Mulay seine morgendliche Runde. Er kannte die Namen aller Familien, wusste, wer dort erkrankt und wer bereits gestorben war. Mehr als die Hälfte des Stammes lag mit hohem Fieber in den Zelten, und wenn Mulay seine Erfahrungswerte richtig einschätzte, würden nur wenige die Krankheit überleben.
    Die Dämonen, die in ihren Körpern hausen, sind grausam und mächtig, dachte er. Ich kann nichts gegen sie ausrichten.
    »Mulay?«
    Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er drehte sich um und bemerkte Ne'komay, einen jungen Mann, dem die Trauer tiefe Falten ins Gesicht gegraben hatten. Seine Frau und vier seiner sechs Kinder waren dem Fieber zum Opfer gefallen. Jetzt humpelte er einbeinig und auf Krücken Mulay entgegen.
    Die Feuergötter stellen ihn auf eine besonders harte Probe, dachte Mulay, der dem Krieger nach einem Unfall im vergangenen Winter das Bein hatte abnehmen müssen. Seitdem verwaltete Ne'komay die Nahrungsvorräte des Stammes.
    »Was kann ich für dich tun, mein Freund?«, fragte er.
    »Sind die Jäger bereits zurück?«
    Mulay schüttelte den Kopf. »Sie werden bald kommen. Um diese Zeit ist es zu gefährlich im Wald.«
    Ne'komay sah kurz zur Seite, als wolle er sicherstellen, dass niemand ihnen zuhörte. Dann senkte er die Stimme. »Die letzten Vorräte sind fast verbraucht. Wir haben kein Fleisch mehr, kein Mehl, nur noch ein paar Beeren und Wurzeln. Die Frauen können nichts samme ln, weil sie entweder krank sind oder ihre Familien pflegen oder…« Er ließ den Satz unvollendet und senkte den Blick.
    »… betteln«, ergänzte Mulay für ihn. Die Krankheit hatte den Stamm in eine Hungersnot geführt. Eh emals stolze Krieger sahen keine andere Möglichkeit mehr, als ihre Frauen und Kinder zur Stadt zu schicken, um ein wenig Essbares zu erbetteln.
    Er sah nach Osten, zu den Rauchfahnen, die wie eine höhnische Provokation hinter den Bäumen aufstiegen.
    Waashton, dachte er voller Abscheu. Wenn ich könnte, würde ich wie ein Feuersturm über dich hinwegfegen, bis nichts mehr übrig wäre von deinem Lärm, deinem Schmutz und deinen verfluchten Bax. (Noch ein paar Begriffe: Bax = Zahlungsmittel (ehem. Kreditkarten), Waashton = Washington; Nu u'ork = New York)
    Aber er konnte nicht, war im Gegenteil sogar auf die Mildtätigkeit der Stadtfürsten angewiesen. Sie
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