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054 - Josephas Henker

054 - Josephas Henker

Titel: 054 - Josephas Henker
Autoren: Earl Warren
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getanzt und mit dem Teufel Unzucht getrieben“, rief eine alte Frau. „Die Hexenschar sah zu, sang Spottreime auf die Choräle der Heiligen Messe. Aber jetzt geht es der Hexe an den Kragen.“ Die Alte kicherte boshaft.
    Die junge Frau auf dem Karren schien die wütenden Stimmen der Zuschauer am Wegesrand nicht zu hören. Sie sah starr geradeaus auf einen Punkt am Horizont.
    Es war ein heißer Sommertag. Ein paar Schäfchenwolken zogen am Himmel dahin. Die Luft flimmerte über den goldgelben Kornfeldern. Es roch nach frischer Erde und reifem Korn.
    Männer und Frauen drängten sich an den Henkerskarren heran, schüttelten drohend die Fäuste. Die Schergen zu beiden Seiten des Wagens stießen sie mit den Schäften der Hellebarden unsanft zurück. Um den Karren entstand ein Gedränge. Schon reckten sich Hände nach der rothaarigen Frau.
    Da trat der Richter vor. Er schritt mit einem halben Dutzend weltlicher und kirchlicher Würdenträger hinter dem Karren her. Der Richter, ein hochgewachsener, weißhaariger Greis, trug eine schwarze Robe und einen weißen Kragen wie die andern Würdenträger.
    „Zurück!“ schrie er und packte einen senseschwingenden Bauern am Arm. „Zurück, sage ich. Noch ist sie nicht rechtmäßig verurteilt, ihre Schuld nicht erwiesen. Wartet die Hexenprobe ab.“
    „Wozu warten?“ kreischte eine dicke Bürgersfrau. „Sie hat mir meinen Mann abspenstig gemacht, als ich im Kindbett lag. Er hatte nur noch Augen für sie. Sie ist eine Hexe. Schlagt sie tot!“
    „Wer die Hand gegen sie erhebt, bevor sie verurteilt ist, der soll es büßen!“
    Murrend wichen die Männer und Frauen vom Wagen zurück. Der Richter war ein geachteter Mann. Er hatte Macht und Einfluß. Keiner wollte seinen Zorn auf sich ziehen.
    Ungehindert fuhr der Karren weiter bis zum Seeufer. Am Steg hielt er an. Es war ein kleiner, idyllischer See, in dem die Frauen aus dem nahen Dorf an andern Tagen ihre Wäsche wuschen. Die Ufer fielen steil ab. Zu beiden Seiten des Stegs war das Wasser fünf Meter tief.
    Die Menge bildete einen Halbkreis um den Henkerskarren. Zwei Schergen zerrten die rothaarige Frau herunter. Sie stießen sie auf den Steg hinaus. Auf ein Zeichen des Richters fesselten sie Hände und Füße der schönen jungen Frau mit schweren Eisenketten.
    Vier andere Schergen in braunroter Landsknechtstracht schleppten ächzend einen schweren eisernen Amboß herbei. Sie stellten ihn auf die letzte Kante des Steges. Einer der Männer schloß den Amboß mit einer fingerstarken Kette an die Fußfesseln der Rothaarigen an.
    Der Richter hob die rechte Hand. Es wurde still in der Runde.
    „Angeklagte“, sprach der Richter feierlich, „du bist des schweren, scheußlichen Verbrechens der Hexerei und der widernatürlichen Vereinigung mit dem Teufel angeklagt. Bisher hast du standhaft geleugnet und das Sakrament der Beichte verweigert. Sogar auf der Folter hast du geschwiegen. Ich frage dich jetzt zum letztenmal: Willst du gestehen, dich auf  Gnade und Ungnade dem Gericht unterwerfen und reumütig in den Schoß der Kirche zurückkehren?“
    Dje schöne junge Frau schwieg. Ihr Blick glitt suchend über die Menge. Die Männer und Frauen wandten die Köpfe der Kinder weg, damit der Blick der Hexe sie nicht traf. Sie bekreuzigten sich, überkreuzten Zeige- und Mittelfinger zur Abwehr des ‚Bösen Blicks’.
    Doch die rothaarige Frau beachtete keinen von ihnen. Sie hielt nur nach einem Ausschau. Er stand abseits. Ein großer, breitschultriger Mann mit dunklem Lockenhaar, das von grauen Strähnen durchzogen war. Er trug ein einfaches, über der breiten Brust offenes Wams und hatte ein kurzes Dolchmesser im Gürtel. Sein Gesicht war bleich und zerquält.
    Er senkte den Kopf, um dem Blick der schönen jungen Frau auszuweichen. Ein tiefer Seufzer kam aus seiner Brust.
    „Keine Antwort ist auch eine Antwort“, rief der Richter, als die Rothaarige auf seine Frage nicht reagierte. „So verfüge ich denn kraft meines Amtes als Richter, daß heute, am 31. Juli Anno Domini 1623, an der Angeklagten die Hexenprobe vorgenommen wird. Stoßt sie ins Wasser.“
    Ein Scherge gab der rothaarigen Frau einen Stoß. Sie fiel ins aufspritzende Wasser. Neben ihr klatschte der zentnerschwere Amboß ins Wasser und zog sie wie einen Stein in die Tiefe. Luftblasen stiegen auf. Wellenkreise verliefen sich auf dem See, schlugen leicht ans Ufer.
    In atemlosem Schweigen wartete die Menge.
    „Ist die Frau ertrunken?“ fragte ein kleines Mädchen.
    Die
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