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054 - Gabe und Fluch

054 - Gabe und Fluch

Titel: 054 - Gabe und Fluch
Autoren: Bernd Frenz
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um zu wissen, dass dieser Satz jederzeit einen überhasteten Aufbruch entschuldigte. Zügig, aber ohne zu rennen ging sie hinaus.
    Als die Pendeltür hinter ihr zuschlug, riß das Gemurmel ab. Erleichtert atmete sie auf. So war es besser. Aruula ging den Gang hinab, um möglichst viel Abstand zwischen sich und dem Saal zu bringen. Langsam kam sie wieder zur Ruhe.
    Es wurde Zeit, sich um Fudoh zu kümmern. Das Serum schien bereits seine volle Wirkung zu entfalten.
    Sobald sie an den Samurai dachte, sah sie auch schon den Strand vor sich, auf den er sich ständig konzentrierte. Diesmal wirkte das Bild durchscheinend, wie ein fein gewebter Schleier. Dahinter zeichnete sich etwas Düsteres, Unheimliches ab, das ihr kalte Schauer über den Rücken jagte.
    Woo iss Gangk zu eua Hööhle? Der Schrei eines gequälten Kindes war zu hören. Wee veel Waffn habta? Eine Klinge fuhr tief in sein Fleisch. Sach enlich! Blut spritzte.
    Aruula konnte sich der Bildfetzen, die auf sie einströmten, nicht länger entziehen. Sie wollte unbedingt wissen, was in Fudoh vorging. Sofort.
    Wie von einer fremden Macht geleitet folgte sie den Gängen bis zu Takeos Zellenbereich. Dey Loord koomt! Sie gab den Code ein und die Tür öffnete sich. Besser du redest.
    Fudoh lag auf seiner Pritsche und schlief.
    Aruula weckte ihn nicht, sondern ließ sich im Schneidersitz auf den Boden nieder und nahm ihren Kopf zwischen die Knie. Das war ihre bevorzugte Position, wenn sie lauschen wollte. Sie legte die selbst auferlegte Zurückhaltung ab und konzentrierte sich voll und ganz auf den Mann, der mit ihr den Raum teilte.
    Sie konnte förmlich spüren, wie ein Teil von ihr den Körper verließ und nach dem Geist des Schlafenden griff. Mühelos stieß sie durch die Strandkulisse und drang tief in ihn vor.
    Verschmolz mit all seinen Erinnerungen, Motiven und Taten. Kehrte Fudohs Innerstes nach außen und sah dabei Dinge, die sie lieber nie erfahren hätte. Die Verbindung wurde so stark, dass sie sogar seine Sprache verstand.
    Bilder wirbelten ihr entgegen.
    Szenen voller Gewalt und Brutalität, so schlimm, dass Fudoh jede Nacht von ihnen träumte. Minutenlang strömte alles auf Aruula ein: Die Begegnung mit Keiko. Der Überfall der Drachenschiffe. Captain Perkins. Die Folter und Fudohs Rache. All das wühlte sie bis zur Schmerzgrenze auf. Aruula schüttelte sich wie im Fieberwahn, trotzdem war sie nicht gewillt, den Kontakt abzubrechen.
    Nicht bis sie alles erfahren hatte.
    Ein Schlachtfeld tauchte vor ihr auf, von Leichen übersät. Keine zwei Jahre war dieser Kampf her, der den Untergang von El'ay einleitete…
    ***
    Fudohs Traum
    Beginnendes Abendrot tauchte die Landschaft in ein blutiges Licht, das dem zurückliegenden Kampf angemessen schien. Der General stand wie erstarrt über dem letzten Mongolen, den er erschlagen hatte. Der Boden um ihn herum war mit den Körpern seiner Feinde übersät, doch er fühlte keinen Triumph. Jeder Sieg, der so teuer erkauft wurde, war in Wirklichkeit eine Niederlage.
    Fudoh reinigte seine Klinge und sah sich nach weiteren Überlebenden um. Müde wankte er zwischen den Kanonen der Mongolen hindurch, bis er eine schwarz vermummte Gestalt sah, die am Boden kniete. Mit drei Sprüngen war er bei ihr. Er hatte sich nicht getäuscht - es war Suno.
    Die junge Ninja hatte sich tapfer geschlagen, doch nun weinte sie hemmungslos. Er verstand ihre Tränen, als er den Mann erkannte, den sie in Armen hielt. Es war ihr Vater.
    Die übliche Tragödie. Trotzdem tat es immer wieder weh.
    »Wie lange noch?«, schluchzte Suno. »Wie lange wollen sie noch über das Meer kommen und uns bekämpfen? Wir haben so viele von ihnen erschlagen, doch es kommen immer wieder Neue, besser Bewaffnete, die ihren Platz einnehmen. Das ist nicht fair.«
    Fudoh schloss sie in die Arme und Suno ließ es geschehen, obwohl sie das hässliche Gesicht unter seiner Eisenmaske kannte. Er genoss den flüchtigen Augenblick ihrer Wärme und strich vorsichtig über die schwarze Kapuze, die ihren Kopf umhüllte.
    »Sie kommen, bis jedes Leben in Japan ausgelöscht ist«, erklärte er. »Das ist das Schicksal, das die Amerikaner uns zugedacht haben. Ihnen ist es egal, wie viele Mongolen wir töten - für sie zählt nur das Ergebnis. Japans völliger Untergang.«
    »Den haben sie bereits erreicht«, sagte sie bitter. »Unser Volk zählt nur noch wenige Zehntausend. Wir sind am Ende. Wenn wir noch länger in unserer Heimat bleiben, werden wir alle sterben. Wir müssen endlich
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