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0485 - Die Furie

0485 - Die Furie

Titel: 0485 - Die Furie
Autoren: Werner Kurt Giesa
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deinen Helfern oder nicht?«
    »Habe ich ein ›dienstliches‹ Interesse oder nicht?« konterte Zamorra. »An sich ist ja gegen Freikarten nichts einzuwenden. Aber…«
    »Aber hast du wirklich Lust, für einen Platz in den mittleren oder hinteren Reihen zwischen fünfzig und hundert Francs pro Nase hinzublättern?« entfuhr es Nicole. »Das ist wie bei der Opern-Gala! Als ich die Eintrittspreise erfuhr, geruhte ich dezent zu erblassen! Wer sich ganz vorn direkt vor der Bühne auf dem Rasiersitz den Hals verrenkt oder in der Loge direkt über der Bühne schwebt, dürfte noch erheblich mehr Geld loswerden! Also bitte!«
    »Schon gut«, sagte Zamorra. »Du bist ein cleveres, liebes Mädchen. Trotzdem ist mir unwohl bei der Sache.«
    »Wieso?« fragte Nicole. »Wer oder was hindert dich, für ein paar Minuten zwischendurch mal mit beruflich orientierten Pupillen zuzuschauen? Danach…«
    »… danach hat der Mohr seine Schuldigkeit getan und kann kaum noch gehen«, grinste Zamorra ironisch, das berühmte Schiller-Zitat eigenwillig abändernd.
    »Also, zumindest bin ich recht brennend an einem Gespräch mit diesem ›Mister Merlin‹ interessiert«, behauptete Nicole. »Aber dafür, daß ich erstens uns und zweitens den Lafittes, die in Erwartung des zweiten Kindes jeden Sou gebrauchen können, eine Menge Geld eingespart habe, könntest du dich erkenntlich zeigen, Chef.«
    Zamorra runzelte die Stirn.
    »Ich habe festgestellt, daß das Kleid, das ich gestern in Lyon gekauft habe, für eine Vorstellung wie diese ungeeignet ist. Bei den Eintrittspreisen kommen doch nur die oberen Zehntausend. Ich brauche also nichts Modisch-ausgeflipptes, sondern etwas Seriös-gediegenes.«
    Zamorra seufzte. Nicoles Mode-Tick, längere Zeit in den Hintergrund getreten, trieb derzeit wieder Blüten. »Vielleicht käme es billiger, wenn wir stattdessen den vollen Eintrittspreis bezahlten«, ächzte er. Aber Nicole überzeugte ihn davon, daß sie sich dessen gar nicht sicher war.
    ***
    Phil Textor schlief wieder schlecht.
    Keine gute Vorbereitung auf die Premiere am kommenden Tag, aber was konnte schon schiefgehen? Die Show würde perfekt sein wie immer. Selbst wenn er alles falsch machte, was er nur eben falsch machen konnte.
    Aber das würde er natürlich nicht tun, trotz der miserablen Verfassung, in welcher er sich befand und die mit den Jahren immer schlechter wurde. Er hatte sein Programm, das er wie im Schlaf abspulte, mit verschiedenen Varianten, durch die er sich den jeweiligen Publikumsreaktionen anpassen konnte.
    Unruhig wälzte er sich in seinem Hotelbett hin und her. Mehrmals sprang er tatsächlich auf, trat ans Fenster und sah hinaus. Aber da waren nur die Lichter der Stadt, die bis in die frühen Morgenstunden nicht verloschen, und darüber der grauschwarze Smoghimmel, der kaum von der Mondsichel und den etwas helleren Sternen durchdrungen wurde. Jedesmal lauschte Textor auch an der Verbindungstür zum Nachbarzimmer, ob Lucy vielleicht mittlerweile zurückgekehrt war. Aber lange blieb alles still. Das war ungewöhnlich. Normalerweise fand sie ihr Opfer recht schnell und war dann auch bald wieder zurück.
    Einmal lag Textors Hand tatsächlich auf dem Hörer des Zimmertelefons. Ruf die Polizei an und sage, daß die Furie wieder nach einem Opfer sucht. Aber er hatte es nie getan, er tat es auch jetzt nicht.
    Er konnte nur hoffen, daß sie es diesmal bei einem einzigen Opfer bewenden ließ. Daß es ihr genug Kraft gab, die nächsten Tage Ruhe zu halten. Andernfalls würde sie schon bald wieder auf Beute ausgehen. Dann starb ein weiterer Mensch, und vielleicht noch einer, ehe sie in die nächste Stadt weiterzogen.
    Manchmal fragte sich Textor, warum die Polizei nicht mißtrauisch wurde. Gerade im Zeitalter der Computer mußte es doch einfach sein, Daten auszutauschen. Wenn es in mehreren Orten zu rätselhaften Mordfällen kam, und die ›Magic-Show‹ genau die gleiche Tour hatte, mußte das doch jemandem auffallen! Aber anscheinend zog niemand Querverbindungen.
    Schon seit einem Vierteljahrhundert nicht.
    Das war etwas, das Phil Textor niemals begriffen hatte. Er konnte auch mit niemandem darüber reden, und Lucy lachte nur, wenn er sie danach fragte.
    Kurz vor dem ersten Morgengrauen hörte er, wie sie zurückkam. Er hatte nicht mitbekommen, ob sie Tür oder Fenster benutzte. Es gelang ihm in den seltensten Fällen, ihren Weg zu rekonstruieren. In der Anfangszeit war er ihr einige Male durch die Nacht gefolgt, und das nackte
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