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0474 - Metro-Phantome

0474 - Metro-Phantome

Titel: 0474 - Metro-Phantome
Autoren: Werner Kurt Giesa
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er ihn noch nie zuvor in seiner Laufbahn erlebt hatte. Und dann durfte er auch die Frage beantworten, mit welchem Recht er Bürger Rußlands mit der erlebten selbstgefälligen Arroganz behandelte.
    Boris Saranow, der massige Parapsychologe mit zwei Zentnern Kampfgewicht, traf erst etwas später ein. Er hieb seinem Assistenten die breite Baggerschaufel, im Volksmund auch Hand genannt, zwischen die Schulterblätter. »Ist ja ganz nett, Genosse Fedor Martinowitsch, daß Sie mich bemühen lassen, damit ich Sie ›freikaufe‹, aber Ihre Gegenleistung sieht doch recht dürftig aus. Sie haben diese Phantome ja nicht mal mit eigenen Augen gesehen…«
    »Womit hätte ich sie, bitte schön, sonst sehen können, wenn nicht mit eigenen Augen ? Mit den Ohren vielleicht? Oder mit geliehenen Augen? Choroschow, letzteres habe ich wohl getan, weil ich mir die Beobachtung der anderen verinnerlicht habe, aber wann endlich hören Sie auf, mich ›Genosse‹ zu nennen? Die Ära des Sozialismus ist doch vorbei!«
    Saranow grinste über beide Ohren. »Natürlich, Genosse Fedor Martinowitsch, und kaum jemand ist darüber froher als ich…«
    »Aber auch nur, weil Sie in einer gesellschaftlichen Stellung sind, in der Sie nicht jeden Tag bis zu fünf Stunden vor Geschäften mit leeren Regalen Schlange stehen müssen, weil die Marktwirtschaft versagt…«
    »Sie versagt nicht«, korrigierte Saranow ruhig. »Sie kann sich nur nicht so schnell einspielen, wie wir alle das so gern hätten, solange die Ewiggestrigen immer wieder querschießen und die perestroijka sabotieren, weil sie um ihren Einfluß von anno Filzpantoffel fürchten.«
    Dembowsky räusperte sich; er wollte sich nicht auf eine politische Diskussion einlassen, die momentan ohnehin nichts einbrachte; es ging ihm um die Sache. Er fühlte sich in Moskau nicht wohl. Die Stadt war ihm zu groß; er war kleinere Städte gewohnt, und am liebsten war ihm seine Arbeitsstätte und seine Unterkunft in Akademgorodok geworden, der Stadt der Wissenschaften. Aber Professor Saranow war aufgefordert - nein, gebeten worden, wie man das heute nannte, sich um die Metro-Phantome zu kümmern, und so wenig man Saranow gefragt hat, ob er nicht vielleicht Besseres zu tun hatte, so wenig hatte Saranow seinen persönlichen Assistenten gefragt.
    Metro-Phantome… das waren seltsame, mörderische Erscheinungen, die beobachtet wurden, ohne daß man ihre Existenz nachweisen konnte. Es sei denn, man nahm die Toten als Beweis, welche sie hinterließen, nur wollte die Polizei keine Phantome und Gespenster anerkennen. Deshalb gefiel es den Obrigkeitsorganen auch gar nicht, daß sich Eierköpfe in die Ermittlungen einschalteten, und noch dazu Paras, die in einem denkbar schlechten Ruf standen. Das hing damit zusammen, daß in der Epoche des Kalten Krieges die Wissenschaft Parapsychologie größtenteils unter der Aufsicht des Geheimdienstes KGB stand und man hauptsächlich mit der Intention forschte, eine neue Superwaffe zu finden. Auch Saranow hatte, innerlich mit den Zähnen knirschend, häufig an solchen Projekten arbeiten müssen. Er hatte zwar nie einen Hehl aus seiner Abneigung gegen diese Art von Forschung und gegen die KGB-Überwachung gemacht; seine Standard-Anrede gegenüber jedem seiner »Kontaktpersonen« war, vor allem in der Öffentlichkeit, »Genosse Spion« gewesen - und war es teilweise auch heute noch. Denn der kalte Krieg war nur auf dem Papier vorbei; es gab trotz der Auflösung des Warschauer Paktes und der Sowjetunion immer noch Unbelehrbare, die glaubten, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu können. Bestürzenderweise gab es diese Kalten Krieger auch auf der westlichen Seite, die immer noch zögerte, der Auflösung des Warschauer Paktes ein gleichartiges Signal folgen zu lassen. Aber damit konnte Saranow leben; er, der zeitlebens unbequem gewesen war und es nur seinen Fähigkeiten zu verdanken hatte, nicht schon vor anderthalb Jahrzehnten in einem sibirischen Straflager eine neue Heimat gefunden zu haben, konnten mit der jetzigen Situation durchaus leben. Immerhin konnte er jetzt noch wesentlich frecher auftreten.
    Aber daß Saranow schon immer ein wenig renitent gewesen war, das spielte jetzt keine Rolle mehr. Er hatte nie die Chance gehabt, sich öffentlich zu äußern, sondern hatte seinen persönlichen Widerstand immer nur »betriebsintern« durchgezogen, und deshalb wußte heute kein Außenstehender, daß Saranow alles andere war als ein williges Teil eines Instrumentes.
    Immerhin war
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