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0451 - Schwarze Träume

0451 - Schwarze Träume

Titel: 0451 - Schwarze Träume
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Rädern. Ein Hupkonzert anderer Verkehrsteilnehmer war die Folge; immerhin war der Durchgangsverkehr munter weitergeflossen. Es hatte ja keinen Unfall und damit auch keine Behinderung gegeben, außer durch die parkenden Fahrzeuge.
    Auch der Fußgänger trollte sich, schimpfend vor sich hin brummelnd.
    Allmählich verliefen sich auch die Schaulustigen wieder, weil es ja nichts mehr zu sehen gab außer einem grauen Toyota mit einer Beule, einem hilflosen Mädchen und einem Trucker.
    »Sie müssen ihn doch gesehen haben«, flüsterte Candice.
    »Wen?«
    »Den Tod. Er stand da, war plötzlich mitten auf der Straße. Er schlug mit einem Stab nach mir, mit einer Lanze… oder was auch immer das war. Das hat meinen Wagen über die Fahrbahn geschleudert.«
    »Da war eine Ölspur«, versicherte der Trucker. »Darauf sind Sie gerutscht. Sehen Sie, da… da schimmert's regenbogenfarben!«
    Er deutete auf eine Stelle der Straße.
    Es hatte vor kurzem geregnet; die Straße war noch naß. Und tatsächlich sah Candice Roberts das bunte Schillern von Öl auf Wasser.
    Sie schluckte.
    »Sie müssen ihn auch gesehen haben«, sagte sie leise. »Es war nicht die Ölspur. Es war der Tod. Er hat nach meinem Wagen geschlagen.«
    »Sie sind ihm von der Schippe gesprungen«, sagte der Trucker. »Dem Tod. Fast wären Sie mir vor den Truck geknallt. Kommen Sie, ist mit Ihnen alles in Ordnung?«
    »Ja«, sagte sie leise. »Ja, es ist alles in Ordnung. Sie haben ihn also gesehen!«
    »Wen?«
    »Den Tod! Dort hat er gestanden!«
    »Da stand niemand. Da ist nur die Ölspur. Ich werde die Polizei verständigen, damit jemand kommt und Sand drüber streut oder sonst was unternimmt.«
    »Aber er war da! Er hat da gestanden«, beharrte Candice. Sie hob den Kopf, und zum ersten Mal sah sie den Trucker richtig an. »Warum helfen Sie mir eigentlich?«
    »Weil ich froh bin, daß Sie noch leben«, sagte er. »Daß Sie mir nicht vor den Truck geknallt sind. Okay?«
    »Okay, ja.«
    »Wissen Sie was? Sie sollten zu einem Arzt gehen. Der wird Ihnen weiterhelfen. Ich kann mich jetzt leider nicht mehr länger um Sie kümmern. Ich habe eine brandheiße Fracht abzuliefern. Wenn ich nicht pünktlich bin, bekomme ich kein Geld, muß selbst Strafe bezahlen.«
    »Ja«, sagte sie, ohne es wirklich zu verstehen. Sie wußte nur, daß er den Tod nicht gesehen haben wollte, so wie die anderen. Sie sah sich um, doch da war niemand mehr, der ihre Beobachtung hätte bestätigen können. Da war nur die Beule im Blech des Toyota.
    Und der Trucker ging zurück zu seinem Sattelschlepper. Er schwang sich ins Führerhaus hinauf und hantierte mit einem Funk-Mikrofon. Die Ölspur, dachte Candice mechanisch. Er benachrichtigte die Polizei.
    Und dann stand sie nur noch allein da und starrte in die Ferne, bis sie schließlich wieder in den Toyota stieg und heimfuhr.
    Aber ganz vorsichtig…
    Denn den Tod, der nach ihr geschlagen hatte, würde sie niemals wieder vergessen.
    ***
    Das Erwachen war so schlimm wie immer.
    Er wußte, daß er tot gewesen war.
    Und er war nach Avalon gegangen. Gerade noch rechtzeitig. Er war wiederbelebt worden, in einem Prozeß, der schmerzhaft und furchtbar war, und von dem er jedesmal hoffte, daß es das letzte Mal war. Jedesmal schwor er sich, beim nächsten Mal darauf zu verzichten, lieber tot zu bleiben und den Tod als das letzte Ereignis seines langen Lebens zu akzeptieren. Aber jedesmal, wenn es wieder soweit war, klammerte er sich an den letzten Lebensfunken und zitterte darum, es noch einmal zu schaffen.
    Es war doch noch so viel unerledigt!
    Er mußte doch jedesmal noch weiterleben, weil er seine Aufgabe als noch nicht erfüllt ansah.
    Unsterbliche sterben schwerer…
    Der Satz zuckte durch seine wirbelnden Gedanken. Gleichzeitig ging ihm auf, daß er doch gar nicht unsterblich war. Er konnte genauso getötet werden wie jeder andere Mensch, und möglicherweise würde er eines Tage sogar an einer Krankheit sterben. Bis jetzt war das durch die Wiederbelebungen immer verhindert worden; tödliche Krankheiten wie Krebs oder Schlimmeres wurden bei jeder Wiederbelebung gleichzeitig mit ausgemerzt und mußten sich in einem neuen Leben erst wieder finden.
    Wieder durchraste ihn eine Schmerzwelle. Er krümmte sich zusammen und wußte, daß er nicht mehr in Avalon war. Vielleicht war das gut so. Avalon befand sich neben der Zeit, und der Weg dorthin… nein, er wollte ihn einfach niemandem beschreiben können. Es war schlimm genug, daß er selbst ihn kannte und
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