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045 - Das verschwundene Volk

045 - Das verschwundene Volk

Titel: 045 - Das verschwundene Volk
Autoren: Claudia Kern
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größeres Tier daran gerieben hatte. Trotzdem war sie sicher, dass sie auf Beute stoßen würde. Schließlich hatte sie in ihrer Vision Vorbereitungen für eine Jagd gesehen.
    Sie setzte sich auf den sandigen Boden. Vielleicht war es besser, nicht ziellos zu jagen, sondern sich Klarheit mit einem neuen Traum zu verschaffen.
    Aruula schloss die Augen…
    ... und sah das Tier direkt vor sich. Es war etwas kleiner als ein Deer, hatte hellbraunes Fell und ein breites Geweih, das zu beiden Seiten der aufgerichteten Ohren vom Kopf abstand. Vollkommen ruhig verharrte es neben einem Felsen und starrte hinaus auf die endlos erscheinende Ebene.
    Es bemerkt mich nicht, dachte Aruula und stand auf. Die Flanken des Tiers zitterten leicht, als der Wüstenwind heißen Sand aufwirbelte.
    Einem Impuls folgend streckte Aruula die Hand aus. Ihre Fingerspitzen berührten das warme weiche Fell, strichen sanft darüber.
    Im gleichen Moment brach das Tier zusammen. Sein Kopf schlug mit einem berstenden Geräusch gegen den Felsen; Blut spritzte aus zwei Wunden, in denen hölzerne Speere steckten.
    Aruula fuhr herum und bemerkte eine Gruppe von Kriegern, die sich im Laufschritt dem erlegten Tier näherten. Sie erkannte die Männer, die in der Nacht zuvor vom Schamanen bemalt worden waren. Jetzt beugten sie sich über das Tier, banden ihm die Hufe zusammen und zogen einen Stock hindurch, um es besser tragen zu können. Dabei unterhielten sie sich in einer guttural klingenden Sprache, die Aruula fremd war. Sie dachte an den Schamanen, der »Geh weg« zu ihr gesagt hatte, und fragte sich, weshalb sie ihn verstanden hatte.
    Zwei Krieger nahmen das Tier zwischen sich und folgten den anderen auf dem Weg zurück zum Dorf.
    Die grünen, von Bewässerungsgräben durchzogenen Felder, die sie dabei passierten, hoben sich wie Fremdkörper aus der gelbbraunen Landschaft ab.
    »Ich bringe die Beute zu ihnen«, sagte eine Stimme hinter ihr. »Mein Ruf lockt sie an.« Aruula drehte den Kopf, ahnte bereits, wer mit ihr sprach, noch bevor sie den Schamanen auf dem Boden hocken sah. Er legte eine Hand in das rasch versickernde Blut des toten Tiers und strich damit über seine Stirn.
    Dann sah er Aruula aus dunklen Augen an.
    »Wieso bist du zurückgekommen?«
    Sie hob die Schultern. »Weil es mir wichtig erschien. Was ist das für ein Ort?«
    Der Schamane stand auf und ging langsam auf die grünen Felder zu. Aruula folgte ihm, unschlüssig darüber, was die Vision zu bedeuten hatte.
    »Du bist durch das Sipapu gekommen«, sagte der Schamane schließlich, als sie das Dorf fast erreicht hatten. »Weißt du, was das ist?«
    »Nein.«
    »Sie weiß es nicht und doch hat sie den Weg gefunden. Wie kann das sein?« Er klang, als spreche er mit einer anderen, unsichtbaren Person, und Aruula ertappte sich bei dem Gedanken, dass er wahnsinnig sein könnte. Man erzählte sich, dass Göttersprecher und Schamanen .häufiger als andere Menschen unter einem verwirrten Geist litten, weil sie zu viel sahen und zu wenig verstanden.
    »Vielleicht«, sagte sie, »kenne ich das Sipapu unter einem anderen Namen.«
    Der Schamane warf ihr einen beinahe mitleidigen Blick zu. »Es gibt nur diesen einen Namen, so wie es nur diesen einen Ort gibt. Du bist ein Yiet'zu, du weißt nichts von diesen Dingen.« Sein Blick blieb an den Symbolen auf ihrem Körper hängen. Er zog die Augenbrauen zusammen, als irritiere ihn, was er sah.
    »Was ist ein Yiet'zu?«, fragte Aruula.
    Der Schamane lächelte. »Ein Ungeheuer mit weißer Haut und Waffen aus Eisen. Die Prophezeiungen sprachen von vielen Yiet'zu, die wie Heuschrecken über uns kommen würden, aber das liegt lange zurück.«
    »Ich bin kein Yiet'zu. Ich bin ein Mensch.«
    »Wenn das stimmt«, sagte der Schamane, »warum reist du dann mit einem Ungeheuer?« Der Gedanke versetzte Aruula einen Stich.
    Sie öffnete die Augen.
    ***
    »Maddrax!«
    Aruula sprang auf. Die Felswände, die sich zu beiden Seiten erhoben, schienen sie erdrücken zu wollen. Sie wusste nicht, weshalb sie plötzlich voller Panik war, ahnte nur, dass sie die Schlucht schnellstens verlassen mussten, bevor das, was mit ihr geschah, endgültig die Kontrolle übernahm.
    Atemlos erreichte Aruula das Lager. Es war später Nachmittag und die Schatten der Felsen fielen lang über den Gleiter und die ausgebreiteten Felle.
    Maddrax war nirgends zu sehen.
    Mit einem Blick erkannte Aruula, dass sein Wasserschlauch und zwei Felle verschwunden waren. Sie sah hinauf zur Felswand, zu dem
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