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045 - Das verschwundene Volk

045 - Das verschwundene Volk

Titel: 045 - Das verschwundene Volk
Autoren: Claudia Kern
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unbedingt musste, hielt sich um diese Zeit im Freien auf.
    Ihr erlebt gleich eine böse Überraschung, dachte Ramon mit einem gewissen Bedauern.
    Eine Handbewegung brachte den Spähtrupp zum Stehen.
    »Zweihundert Wilde«, sagte Modeno neben ihm, »vielleicht zweihundertfünfzig. Das schaffen wir ohne Verstärkung, Capitan.«
    Ramon nickte. Eine Faustregel besagte, dass ein Fünftel eines Dorfes kampffähig war. Damit stand es fünfzig zu fünfzig, aber die Bewaffnung der Indianer war schlecht und seinem Trupp weit unterlegen. Ruhig setzte er seinen Helm auf und legte den Brustpanzer an.
    Das metallische Klirren hinter ihm verriet, dass die anderen Offiziere seinem Beispiel folgten.
    »Bogenschützen in die zweite Reihe«, befahl er, »Fußsoldaten davor, Reiter an die Flanken.«
    Einen Moment herrschte Chaos, dann hatten die Soldaten Aufstellung genommen. Ramon lenkte den Hengst an ihre Spitze und zog sein Schwert. Seine Sporen berührten zitternde Flanken.
    »Angriff!«, schrie Ramon. »Zum Ruhme Spaniens!«
    Grölende Rufe waren die Antwort. Er spornte das Pferd zum Trab an, die Augen starr auf das Pueblo gerichtet. Jeden Moment mussten die ersten Krieger mit ihren primitiven Jagdwaffen dort auftauchen. Die Erwartung der kommenden Schlacht beschleunigte seinen Puls und ließ ihn Durst und Hitze vergessen.
    Kurz vor der Steilwand zügelte Ramon den Hengst. Staubwolken strichen über ihn hinweg, als der Rest des Spähtrupps zum Stehen kam.
    Die Eingänge des Pueblos gähnten ihm dunkel und leer entgegen.
    Was ist hier los?, fragte er sich. Wieso kommen sie nicht heraus?
    »Ist wohl niemand zu Hause, Capitän«, sagte Modeno mit einem nervöse klingenden Lachen.
    »Vielleicht haben sie uns aus der Ferne bemerkt und sind geflohen.«
    Ramon zeigte auf die großen Tonkrüge. »Und wovon wollen sie auf der Flucht leben, wenn sie Mehl und Wasser zurückgelassen haben? Es ist alles noch hier.«.
    Nicht nur die Krüge mit Maismehl waren unangetastet. Auch die Stapel mit Feuerholz und die langen Streifen Dörrfleisch, die wie Wäsche an Leinen hingen, ließen nicht auf Menschen schließen, die in aller Hast ihr Hab und Gut zusammengepackt hatten und geflohen waren.
    Ramon setzte den Helm ab und schüttelte den Schweiß aus seinen Haaren. »Nimm dir zehn Mann mit Schwertern und durchsuch das Pueblo. Sie müssen hier noch irgendwo sein.«
    Ächzend stieg er von seinem Pferd ab, während Modeno und neun Mann auf die Leitern zuliefen. Auch einige andere Soldaten sahen sich neugierig um. Sie stocherten mit ihren Schwertern in den Krügen herum oder erkundeten vorsichtig die Höhlen auf der untersten Ebene.
    Ramon ließ sie gewähren. Er wusste, wie schlecht der Sold einfacher Soldaten war. Wer die Feldzüge nicht zum Plündern nutzte, hatte kaum etwas vorzuweisen, wenn er nach jahrelangem Dienst endlich nach Hause kam.
    Die Schatten fielen bereits lang über den Sand, als Modeno in einem Eingang auftauchte.
    »Es ist nichts zu sehen, Capitän!«, rief er.
    »Aber die Höhlen gehen tief in den Berg hinein. Sollen wir weiter suchen?«
    Ramon sah sich nach seinen Offizieren um, wollte ihren Rat einholen, doch sie waren nirgends zu sehen.
    Sie sind wohl auch in das Pueblo gegangen, dachte er.
    »Ja!«, rief er dann Modeno zu. »Sucht weiter! Die Indianer müssen Spuren hinterlassen haben!«
    Der Soldat nickte und verschwand wieder in der Steilwand. Ramon griff in seine Sattel- tasche, um seine Zeichnungen herauszunehmen, zögerte jedoch, als eine leichte Brise den Geruch frisch gepflückter Oliven mit sich brachte.
    Er zog seine Hand leer heraus und setzte sich auf einen Stein. Tief atmete er den vertrauten Geruch ein, schmeckte das Salz des Meeres auf seiner Zunge.
    »Nur einen Moment«, murmelte er, »einen Moment in der Heimat, dann kehre ich hierhin zurück…«
    Ramon schloss die Augen. Seine Reise in die Dunkelheit begann…
    ***
    August 1540
    Adelantado Francisco Vasquez de Coronado fluchte seit drei Wochen fast ununterbrochen, sehr zum Leidwesen seines Priesters, Fray Antonio, der in einer Franziskanerkutte schwitzend neben ihm ritt.
    »Bei der schwarzen Madonna«, sagte Coronado. »Wie sollen wir die sieben goldenen Städte finden, wenn unsere gottverdammten Spähtrupps noch nicht einmal in der Lage sind, zurück zum Basislager zu finden?«
    Fray Antonio warf einen kurzen Seitenblick auf das hagere, sonnenverbrannte Gesicht seines Kommandanten. Hunger und Ehrgeiz hatten ihn vorzeitig altern lassen, sodass er wie ein Mann von
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