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045 - Das verschwundene Volk

045 - Das verschwundene Volk

Titel: 045 - Das verschwundene Volk
Autoren: Claudia Kern
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Punkt, hinter dem sich der Höhleneingang verbarg.
    »Maddrax!«
    Das Echo ihrer Stimme war die einzige Antwort. Aruula dachte an das kurze Gespräch, das sie geführt hatten, an die dunklen Ringe unter seinen Augen und den Wüstenstaub, der seine Uniform wie eine weiße Schicht bedeckte. Diese Details waren ihr, noch halb verloren in den Visionen, nicht aufgefallen, aber jetzt fragte sie sich, ob er die ganze Nacht im Pueblo verbracht hatte und was er dort oben tat.
    Sie rief seinen Namen erneut - vergeblich - und ging langsam auf die Felswand zu. Ein Teil von ihr sorgte sich um Maddrax, ein anderer dachte an Yiet'zu mit seiner weißen Haut und den eisernen Waffen.
    »Er ist kein Ungeheuer«, sagte sie leise. »Der Schamane weiß nichts über ihn.«
    ***
    Ein heiserer Schrei zerriss die Stille. Aruula sah erschrocken auf und bemerkte einen braunweißen Raubvogel, der hoch über den Felsen seine Kreise zog. Die Männer des Stammes hatten Federn dieser Färbung in den Haaren getragen.
    Sie begann zu husten, plötzlich und unerwartet. Die Luft stach in ihren Lungen, brannte in ihren Augen, schmeckte nach Metall und heißem Sand. Die Sonne war ein verwaschener Fleck an einem diesigen Himmel.
    Aruula taumelte desorientiert. Um sie herum standen Frauen, die halbfertige Körbe in den Händen hielten und jetzt langsam zurückwichen. Die Ebene erstreckte sich hinter ihnen, flimmerte in der schweren Hitze.
    »Wenn der Wind von Westen kommt, ist es am schlimmsten«, sagte eine Stimme, die Aruula sofort wiedererkannte. Sie drehte den Kopf und wischte sich die Tränen aus den Augen.
    »Was…«, begann sie, aber der Schamane ließ sie nicht ausreden. Er breitete die Arme aus.
    »Willkommen in der nächsten Welt.«
    Aruula schlug die Decke zurück und stand auf. Es .war angenehm kühl in der kleinen Höhle, in der sie jetzt lebte. Die Wände waren abgerundet und mit Zeichnungen des Schwarzen Gottes bedeckt.
    Traumfänger, scheibenförmige, halb durchsichtige Gegenstände, die mit Vogelfedern verziert waren, hingen über ihrem Lager und schützten vor den bösen Geistern, die versuchten, Menschen mit Alpträumen heimzusuchen. Helles Tageslicht drang durch ein Loch in der Decke. Davor lehnte eine Leiter.
    Gähnend stellte Aruula die Leiter an den Ausgang und kletterte hinauf. Die Hitze der letzten Tage hatte sich gelegt. Ein sanfter Wind wehte von Osten und vertrieb die Wolken- schleier von einem tiefblauen Himmel.
    Aruula streckte sich, sprang leichtfüßig über die vorstehenden Dächer hinweg und stieg die Leitern bis zum Erdboden hinab. Die meisten Dorfbewohner hatten sich bereits um die großen Holzschüsseln voller Maisbrei versammelt. Krüge, die mit Kaktussaft gefüllt waren, standen neben ihnen. Aruula ging zu den Schüsseln, die den jungen unvermählten Frauen vorbehalten waren, und hockte sich in den Sand. Während sie mit der Hand zu essen begann, bemerkte ein Teil von ihr, wie die Frauen, die unmittelbar neben ihr hockten, zurückwichen und zu tuscheln begannen.
    Aruula machte sich nicht die Mühe, auf ihre Worte zu achten. Stattdessen glitt ihr Blick über eine Gruppe unvermählter Männer, die in einiger Entfernung saßen. Sie erkannte die meisten Krieger und ordnete ihnen die Namen zu, die sie sich zur Unterscheidung ausgedacht hatte. Sie sah Narbengesicht, Dreifinger, Krummnase und O-Bein, die aufmerksam einer Geschichte lauschten, die Rundgesicht mit ausladenden Gesten erzählte. Wie die Krieger wirklich hießen, wusste Aruula nicht, denn auch von ihnen wurde sie ignoriert.
    Wo ist Makeje?, dachte Aruula. Der Schamane war nicht nur der Einzige, dessen wahren Namen sie kannte, sondern auch der Einzige, der mit ihr sprach. Erst am Vorabend hatten sie gemeinsam am Lagerfeuer gesessen, aber bereits jetzt vermisste sie ihn und seine ruhige würdevolle Art. Obwohl er noch sehr jung war, hielt Aruula ihn für einen der weisesten Männer, denen sie je begegnet war.
    Der Tritt traf sie hart und unvorbereitet. Stöhnend kippte Aruula in den Sand und presste ihre Hände gegen die schmerzenden Rippen.
    Sie hörte keifende Stimmen, blickte auf und entdeckte Schielauge und Breitarsch, zwei alte Frauen mit grotesk verkrümmten Fingern und geschwollenen Gelenken. Ihren Anweisungen mussten sich die jüngeren Frauen beugen.
    Aruula stand auf. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie viel Zeit vergangen war. Die anderen Frauen saßen bereits an ihrer Arbeit, stampften Mehl, kneteten Teig und -
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