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032 - Die magische Seuche

032 - Die magische Seuche

Titel: 032 - Die magische Seuche
Autoren: B.R. Bruss
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Persönliches mit mir besprechen wollte, dann hätte er wohl gewartet, bis sich die Gelegenheit dazu ergab.
    Ich besuchte erst die Kranken, die mir Sorgen machten, und fuhr dann auf den Hügel. Madame Huglan erwartete mich am Gartentor. Sie schien besorgt.
    „Was ist denn geschehen?“ fragte ich sie.
    „Das soll er Ihnen lieber selbst erklären, Herr Doktor“, sagte sie. „Er ist sehr niedergeschlagen. Versuchen Sie, ihn ein wenig aufzurichten.“
    Er saß in seinem Büro in einem tiefen Lehnstuhl, war mit einem Morgenmantel bekleidet und schien seit unserer letzten Begegnung um Jahre gealtert zu sein. Er war blaß und hatte Falten um den Mund.
    „Da bin ich“, sagte ich und reichte ihm die Hand.
    Er nahm sie und zog mich kraftlos auf einen Sessel, der neben dem Lehnstuhl stand. „Ich weiß nicht, was mit mir los ist, Herr Doktor“, sagte er. „Ich bin nicht krank, ich bin nur ein wenig erschrocken. Nein, er ist keine Angina oder Migräne, oder eine ähnliche Dummheit. Deshalb hätte sich Sie nicht rufen lassen. Aber ich beginne wohl am besten von vorn.“
    „Ich bitte Sie darum, lieber Freund.“
    „Es begann vor vier oder fünf Wochen“, sagte er. „Ich fing an, öfter als normal zu stolpern, im Garten, auf der Treppe, im Haus. Ich stieß gegen jedes Hindernis, gegen die kleinste Teppichfalte, gegen jede Erhebung im Boden.“
    „Haben Sie auch leichte Schwindelanfälle?“
    „Daran habe ich auch gedacht. Ich begann, mich zu beobachten. Keine Spur von Schwindel, nichts dergleichen. Dann dachte ich, mit meinen Beinen wäre etwas nicht in Ordnung. Aber ich hatte keine Schmerzen, keine Schwellung, nichts. Meine Knie und die Knöchel sind so gelenkig, wie sie in meinem Alter nur sein können. Ich habe keinen Rheumatismus, ich glaube, daß mein Herz gesund ist.“
    „Ich möchte Ihren Blutdruck messen“, sagte ich. „Und Sie untersuchen.“
    Er setzte mir den Zeigefinger vor die Nase. „Warten Sie, bis ich fertig bin, junger Mann!“ sagte er. „Nachher können Sie mich untersuchen, solange Sie wollen. Und ich werde zufrieden sein, wenn Sie mir verraten, was. mir fehlt und wie man es behandeln kann.“
    „Na gut“, sagte ich. „Fahren Sie fort – bitte.“
    „Eines Morgens, nachdem ich aufgestanden war und im Zimmer auf- und abging, bemerkte ich plötzlich, daß ich hinkte. Nicht stark, nein. Aber ich hinkte. Ich betrachtete meine Knie, meine Knöchel, die Muskulatur. Nichts. Am nächsten Morgen hinkte ich mehr. Und am übernächsten Morgen noch mehr. Und wissen Sie, weshalb?“
    „Das werde ich zweifellos wissen, wenn ich Sie untersucht habe.“
    „Ich fürchte, daß Sie gar nichts wissen werden, Herr Doktor. Denn um es kurz zu machen, und wohlgemerkt, momentan hinke ich ganz schrecklich, ich habe ein längeres Bein.“
    „Was?“ rief ich. „Das ist unmöglich!“
    Und im selben Augenblick, als ich diese Worte aussprach, erinnerte ich mich an das, was ich mit eigenen Augen in meiner Ordination gesehen hatte und was ich von Nelsy wußte.
    Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
    Er lachte freudlos. „Wenn das so weitergeht, sehe ich bald aus wie ein Storch mit einem verkümmerten Bein.“
    Ich verzog keine Miene. Seine gezwungene Fröhlichkeit ärgerte mich nur. „Sie hätten mich früher verständigen sollen“, sagte ich.
    Seine Frau ergriff das Wort. „Das sage ich ihm schon seit mehr als zwei Wochen, aber Sie kennen ihn ja, Herr Doktor! Er ist ein Starrkopf. Seit drei Wochen geht er nicht mehr aus dem Haus und weigert sich, irgend jemanden zu empfangen. Ich habe Sie heute angerufen, ohne ihn vorher zu fragen. Er ist so niedergeschlagen.“
    „Mir ist es noch nie so schlecht gegangen“, meinte Huglan. „Ich fühle mich nicht krank. Aber irgend etwas sagt mir, daß ich erledigt bin.“
    „Na, na“, protestierte ich.
    „Ach, haben Sie schon oft Fälle wie den meinen behandelt, wo ein Bein um fast fünf Zentimeter länger wird, und zwar in der Zeit von vier Wochen?“
    Ich zögerte. „Sicher, das ist selten, aber soweit ich es auf den ersten Blick beurteilen kann, nicht besorgniserregend. Ich werde Sie fürs erste untersuchen.“
    „So ist es richtig, Herr Doktor. Untersuchen Sie mich, und dann sagen Sie mir offen und ehrlich, ob Sie am Ende Ihres Lateins sind oder nicht.“
    Ich untersuchte ihn. Zuerst seine Beine. Eines war etwas länger als das andere. Unnötig nachzumessen, man sah es ganz deutlich. Blutdruck normal. Eine leichte Leberschwellung. Aber Huglan hatte immer schon
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