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032 - Die magische Seuche

032 - Die magische Seuche

Titel: 032 - Die magische Seuche
Autoren: B.R. Bruss
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daß er aufgehängt hatte.
    Ich wählte augenblicklich seine Nummer, aber vergebens. Niemand hob ab.
    Eine Minute lang war ich verwirrt, die Sache schien mir unwahrscheinlich und unglaublich. Aber wenn ich nicht am hellichten Tag träumte, dann war das sehr wohl die Stimme Professor Robert Scheelrings, die ich gehört hatte.
    Das beste war wohl, Boze, den Polizeileutnant, zu verständigen und dann gemeinsam zum Weißen Turm hinauszufahren.
    Ich verließ die Praxis, zog mir einen Regenmantel über und ging zu meinem Wagen.
    Leutnant Boze war in seinem Büro. Er war das, was man gemeinhin unter einem schönen Mann verstand, groß, blond, mit energischen, regelmäßigen Gesichtszügen und Augenfältchen, die von einem Anflug gelegentlichen Humors zeugten.
    „Was führt Sie zu mir, Doktor?“ fragte er. Seine hellen Augen blitzten in dem gebräunten Gesicht.
    Ich sagte es ihm.
    „Was?“ rief er ungläubig. „Das ist mir unbegreiflich“, setzte er nach einer Weile nachdenklich hinzu. „Noch heute früh habe ich den Professor getroffen. Ich mußte zu einem Verkehrsunfall, der sich oben auf dem Plateau ereignet hatte. Ich habe sogar einige Worte mit ihm gewechselt. Ersah nicht aus wie ein Mann, der daran denkt, sich umzubringen. Sind Sie sicher?“ Er sah mich zweifelnd an.
    Um die Wahrheit zu sagen, ich war absolut nicht sicher. Ich hatte nur eine Stimme gehört, von der ich annahm, daß sie Professor Scheelring gehörte. Es konnte sich auch um den Scherz eines begabten Stimmenimitators handeln, was ich aber zutiefst bezweifelte.
    Als ich das Leutnant Boze sagte, dachte er einen Augenblick lang nach. „Am besten wird sein, wir fahren hin“, sagte er schließlich und erhob sich. „Ich würde allerdings vorziehen, Ihren Wagen zu nehmen. Sollte es sich tatsächlich um einen dummen Scherz handeln, so hat unser Besuch wenigstens keinen offiziellen Charakter. Wir finden dann auch leichter eine Ausrede, um unser Kommen zu erklären.“
    Ich informierte auch meinen Freund Leon Nelsy, den Leiter der Klinik, und baten ihn mitzukommen. Er war sofort einverstanden und stieg ein.
    Einen Augenblick später saßen wir in meinem Wagen und fuhren hinaus zum Weißen Turm.
     

     
    Der Weiße Turm erhob sich neun Kilometer von Hercenat entfernt auf einem Hochplateau. Wir fuhren den Fluß entlang. Ein« feiner Oktoberregen fiel auf die Straße vor uns. Es wurde Abend.
    Es erschien mir mehr als seltsam, daß sich der Professor mit seiner Mitteilung gerade an mich gewandt hatte. Wenn man es recht bedachte, kannten wir uns ja kaum.
    Ich hatte mich erst vor drei Jahren in Hercenat niedergelassen. Nelsy war gerade zum Leiter der Klinik bestellt worden, und er rief mich zu sich, um die Nachfolge eines Kollegen anzutreten, der einen großen und reichen Patientenkreis hinterlassen hatte.
    Scheelring stammte von hier und war hierher zurückgekehrt wie so viele andere. Aber er verschmähte die Stadt und hatte sich den sogenannten Weißen Turm bauen lassen, wo er seit fünf Jahren lebte. Er hatte drei Hausangestellte: einen Chauffeur, eine Köchin und einen Diener.
    Als wir so durch die Dämmerung fuhren, sah ich die Gestalt des Professors vor mir: mittelgroß, mager, stets in unauffälliges Grau gekleidet. Sein Gesicht war außergewöhnlich blaß, und sein schwarzes Haar begann an den Schläfen etwas zu ergrauen. Scheelrings Blick aus den schwarzen Augen war ungewöhnlich intensiv und schien einen fast physisch zu berühren.
    In seiner ganzen Unauffälligkeit sah man diesem Mann sofort eine geheimnisvolle Genialität an. In Hercenat respektierte man ihn zutiefst, und niemand hätte sich ihm gegenüber zur geringsten Vertraulichkeit hinreißen lassen. Man nannte ihn den „Einsiedler vom Weißen Turm“, aber ohne spöttischen Beiklang. Man war im Gegenteil stolz darauf, daß dieser berühmte Mann hierher zurückgekehrt war, an den Ort, wo er seine Kindheit verlebt hatte.
    Ich fragte mich, warum ein Mann wie er auf den Gedanken kommen konnte, sich das Leben zu nehmen. Oder war ich das Opfer eines schlechten Scherzes geworden?
    Ich bog von der schmalen Bezirksstraße ab und fuhr die kurvige Sandstraße entlang, die sich durch die Wälder bis hinauf auf das Plateau wand, wo der Weiße Turm stand.
    Ich blickte über die kahlen Felsen und war plötzlich sicher, daß der Professor tot war. Wir konnten es nicht glauben, es erschien uns absurd. Aber was wußten wir von diesem Mann? Die wenigen oberflächlichen Gespräche, die ich mit ihm geführt
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