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032 - Die magische Seuche

032 - Die magische Seuche

Titel: 032 - Die magische Seuche
Autoren: B.R. Bruss
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was ihnen fehlte.
    „Aus Lornat sind wir“, sagte der Vater. „Wir haben den Hof dort. Schon seit einer Woche wollen wir kommen, aber wissen Sie, Herr Doktor, die Arbeit auf den Feldern, das Vieh und alles
    Heute früh hat meine Frau gesagt: ‚Man muß etwas tun, man kann nicht mehr länger warten; also kommen wir. Ja, der Sohn hätte auch allein kommen können, aber er tut sich ein bißchen schwer mit dem Reden.“
    „Was ist also nicht in Ordnung?“
    „Es ist … das heißt … meine Nase. Meine Nase … He! Vater, erkläre du das. Du kannst das besser.“
    „Seine Nase bewegt sich.“
    „Was meinen Sie damit? Doch nicht, daß er damit wackeln kann wie ein Kaninchen!“
    „Das nicht. Wenn ich sage, sie bewegt sich, dann meine ich, daß sie sich ändert.“
    „Ändert? Wie?“
    „Was weiß ich? Nicht die Farbe. Aber sie ändert sich, sie ist nicht mehr dieselbe wie früher.“
    „Früher? Wann?“
    „Ich meine, sie ist nicht mehr dieselbe wie vor einem Monat. Sie wird weniger. Sie ist weniger lang. Das sieht man mit freiem Auge, sie schrumpft.“
    Ich betrachtete die Nase des jungen Bauern. „Trotzdem erscheint sie mir völlig normal.“
    „Natürlich“, sagte der Vater. „Es ist eine Nase wie alle anderen. Aber sie ist nicht mehr dieselbe wie früher. Ich finde das auch komisch. Also hat seine Mutter gesagt …“
    „Und wann haben Sie die Veränderung bemerkt?“
    „Ach, vielleicht vor vier Wochen. Die Mutter hat’s zuerst bemerkt.“
    Ich dachte einen Augenblick lang nach. „Und nachher, ist sie nachher noch kürzer geworden?“
    „Na klar!“ sagte der Vater und nickte. „Seine Nase wird immer kürzer.“
    Der Gedanke kam mir, daß sich die beiden einen Scherz mit mir erlaubten, aber ich verwarf ihn sogleich wieder. Die Bauern in der Gegend hatten wohl ihre derben Späße untereinander, aber sie machten sie nie mit Leuten, die nicht ihren eigenen Kreisen angehörten.
    „Ich untersuche Sie noch einmal“, sagte ich. Möglicherweise handelte es sich um einen entstehenden Tumor, der unerwartet Nebeneffekte zeigte.
    Ich tat mein möglichstes, aber ohne Erfolg. Alles war in bester Ordnung.
    Die Sache beunruhigte mich. Ich hatte nie einen ähnlichen Fall gehabt oder auch nur von einem ähnlichen Fall gelesen.
    Für alle Fälle untersuchte ich den jungen Mann gründlich. Er war bei bester Gesundheit, und nichts deutete auf irgendeine Krankheit. Er war keine große Leuchte, das stimmte wohl. Aber sein physischer Zustand war ausgezeichnet.
    „Sie sehen zu, daß das aufhört, was, Herr Doktor?“ sagte der Vater.
    „Ich werde tun, was ich kann“, meinte ich vorsichtig.
    Aber in Wahrheit wußte ich wirklich nicht, was ich tun sollte. Mir war klar, daß sich die beiden Männer, vor allem der Vater, gefoppt fühlen würden, wenn ich ihnen kein Rezept mitgab. Also verschrieb ich eine harmlose Salbe zur Stärkung des Gewebes und zur besseren Narbenbildung und erklärte ihnen, nicht ohne schlechtes Gewissen im Hinblick auf meine Ohnmacht, wie sie anzuwenden war.
    „Wenn Sie bemerken, daß es nicht besser wird, dann kommen Sie wieder. Oder besser, kommen Sie auf alle Fälle, damit ich eine neue Untersuchung vornehmen kann.“
    „Ach, wissen Sie“, sagte Firmin nachdenklich und blickte ins Leere, „mir ist es egal, wie meine Nase aussieht, ob so oder so.“
     

     
    Während ich die nächsten Patienten untersuchte, ertappte ich mich dabei, daß ich an die beiden Bauern dachte. Nichts ist irritierender oder beschämender, als einem Fall gegenüberzustehen, auf den man sich nicht den geringsten Reim machen kann.
    An diesem Abend aßen meine Frau und ich zusammen mit Leon und seiner Verlobten in einem rustikalen Restaurant außerhalb von Hercenat. Das Wetter war so mild, daß wir auf der Terrasse saßen, von der man einen wunderbaren Ausblick über das Tal der Sive hatte.
    Wir saßen kaum, als Leon Helsy sich an mich wandte. „Du hast keine Ahnung, George, auf welch seltsame Dinge man in unserem Beruf stößt.“
    Da konnte ich ihm nur beipflichten.
    „Ich hatte einen schlimmen Tag heute. Vier Verkehrsunfälle. Die Opfer wurden mir gleich nach dem Frühstück gebracht. Es waren dringende Operationen nötig. Einen Fall mußte ich nachher noch im Auge behalten, und gegen Abend war ich wirklich erschöpft. Ich wollte eben die Klinik verlassen, um Clara zu holen, als man mir sagte, daß mich noch jemand zu sehen wünsche. Du weißt, Georges, ich habe nie das Herz gehabt, einen Patienten wegzuschicken,
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