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032 - Die magische Seuche

032 - Die magische Seuche

Titel: 032 - Die magische Seuche
Autoren: B.R. Bruss
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bereits zu seinen Lebzeiten um ihn gebildet hatten, sichern. Und das war ihm ja unzweifelhaft gelungen.
    Die Monate vergingen. Der Herbst ging, der Winter kam. Im Dezember heiratete ich Lucie, die sich von einer zärtlichen Braut in eine wunderbare Ehefrau verwandelte.
    Es wurde Frühling. Ich war glücklich.
    Ich arbeitete viel, aber die Abende zusammen mit Freunden, meist mit Nelsy, waren erholsam und heiter. Nun stand auch Nelsy vor seiner Hochzeit.
    Der Tod Professor Scheelrings war nichts als eine kuriose Erinnerung. Wenn ich jedoch am Weißen Turm vorbeifuhr, verspürte ich immer noch ein leichtes Unbehagen.
     

     

Ich fragte mich, wie es möglich war, daß es bei diesem traumhaft schönen Wetter überhaupt Kranke gab. Ich hatte Lucie versprochen, mit ihr eine kleine Fahrt ins Grüne zu machen, sobald der letzte Patient gegangen war.
    Ich warf einen Blick ins Wartezimmer. Eine Dame wartete noch, mit einem kleinen Jungen auf den Knien.
    „Was führt Sie zu mir?“ fragte ich, während die beiden in mein Sprechzimmer traten. Ich kannte sie. Es waren die Frau und der Sohn des Fleischers. Das Kind hatte ich bereits behandelt, als es die Röteln und die Windpocken hatte.
    „Es ist wegen meinem Sohn“, sagte sie.
    „Ist er krank?“
    Der eben siebenjährige Junge schien bei bester Gesundheit.
    „Nein, Herr Doktor, ich weiß nicht. Trotzdem, ich hoffe, Sie sind uns nicht böse, weil wir Sie deswegen stören.“
    „Worum handelt es sich denn?“ fragte ich beruhigend.
    „Zeig deine Hände, Paul“, verlangte sie.
    Das Kind zögerte, sah mich an und hob mir seine kleinen Hände unter die Augen.
    Ich warf einen kurzen Blick darauf und fand nichts Außergewöhnliches daran. Zwei kleine, wohlgeformte Kinderhände.
    „Sehen Sie nichts, Herr Doktor?“ wiederholte sie. „Der rechte Zeigefinger ist kürzer als der linke!“
    Jetzt fiel es mir auf. Aber der Unterschied war kaum wahrnehmbar.
    „Sehen Sie?“ sagte die Mutter.
    Ich lächelte. „Ich sehe es. Aber das hat keine Bedeutung. Der eine Zeigefinger ist wohl immer schon etwas kürzer gewesen als der andere, es ist Ihnen bisher bloß nicht aufgefallen. Der menschliche Körper sollte zwar völlig symmetrisch sein, ist es aber stets nur in einem gewissen Grad. Diese kleinen Unregelmäßigkeiten sind häufig: Sehen Sie mich an. Mein linkes Ohr ist etwas höher angesetzt, als das rechte.“
    „Sie haben recht, Herr Doktor“, sagte die Metzgersfrau. „Aber ich wollte mich vergewissern.“
    „Ich versichere Ihnen, daß alles in bester Ordnung ist. Sie können beruhigt sein.“
    Der Kleine schüttelte heftig den Kopf. „Nein. Der eine ist kürzer geworden! Und seit ich es bemerkt habe, ist er schon wieder ein Stück kürzer.“
    „Und wann hast du es bemerkt?“
    „Vor ungefähr zwei Wochen.“
    „Das bildest du dir ein, mein Kleiner“, sagte ich. „Das ist einfach nicht möglich!“
    „Ich bilde es mir nicht ein! Ich kenne meine Hände genau. Ich spiele mit Marionetten, und manchmal werfe ich mit meinen Händen auch Schatten an die Wände. Der Finger da ist kürzer geworden. Ich weiß es genau.“
    Ein paar Tränen rannen über seine Wangen, und seine Mutter und ich taten unser Bestes, ihn zu beruhigen.
    „Er ist so dickköpfig“, sagte sie. „Es wäre besser gewesen, wir wären gar nicht hergekommen.“
    „Im Gegenteil, Sie haben gut daran getan. Er soll sich so eine dumme Idee erst gar nicht in. den Kopf setzen. Schläft er gut?“
    „Seit einiger Zeit nicht besonders. Er hat hin und wieder böse Träume, und tagsüber spricht er von nichts als seinem verkürzten Finger.“
    „Er machte mir nie einen nervösen Eindruck.“
    „War er auch nie“, sagte sie. „Das ist er erst jetzt.“
    Ich verschrieb ein leichtes Beruhigungsmittel, laue Duschen und empfahl der Mutter, alles zu tun, um ihn zu zerstreuen.
    „In zwei Wochen denkt er nicht mehr daran“, sagte ich. „Er wird sich daran gewöhnt haben.“
    Zehn Minuten später saß ich mit Lucie im Wagen und dachte nicht mehr an meine Patienten.
     

     
    Am übernächsten Tag waren eine Menge Leute in meinem Wartezimmer. Gegen vier Uhr nachmittags traten zwei Männer, offenbar Vater und Sohn, in mein Sprechzimmer. Es mußten Bauern aus einem der umgrenzenden Orte sein, einfache Leute.
    Zweifellos fühlten sie sich unbehaglich. Der Vater war um die Fünfzig, mit schmalem Gesicht, schlechten Zähnen und etwas gekrümmter Nase. Seine Hände waren schwielig.
    Ich bot ihnen Platz an und fragte sie,
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