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Intrusion

Intrusion

Titel: Intrusion
Autoren: Will Elliott
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KAPITEL 1
    Abendessen bei den Gorrs
    Von sich selbst wusste er anfangs nur, dass er tot war und auf etwas Hartem, Kaltem lag. Dann fiel ihm sein Name wieder ein, Aden Keenan, zusammen mit vereinzelten Erinnerungen, die keinen Sinn ergaben, eigentlich nur Schemen, die verschwommen aus einer nebelweißen Dämmerlandschaft tauchten. Da sie keinen Sinn ergaben, die einzelnen Erinnerungen, machte er sich nicht die Mühe, sie näher zu betrachten. Stattdessen schob er sie beiseite, für später, wenn sich der weiße Nebel (hoffentlich) lichten und den Blick auf das Leben dahinter freigeben würde … auf den, der er jetzt war, auf den, der er früher, vor seinem Tod, gewesen war.
    Ganz in der Nähe tropfte ein Wasserhahn, das vertrauteste Geräusch auf der Welt. Er schlug die Augen auf und blinzelte. Er lag in einer Badewanne. Kaltes Porzellan im Nacken und an den Beinen. Nackt. Mondbleicher Körper, über und über mit Gänsehaut bedeckt. Eine Mischbatterie klemmte hinter seinem Ohr und drückte ihm den Kopf nach vorn. Tropfen aus dem Wasserhahn sammelten sich in der Grube seines Schlüsselbeins, sickerten nach unten. Ein dünner Mondstrahl fiel durch eine Oberlichte direkt auf ihn herunter. Wo er sein Knie berührte, kribbelte die Haut. Seine erste Bewegung bestand darin, an dem Fleck zu reiben. Dann rutschte er zur Seite, um dem Lichtspeer auszuweichen.
    Er erhob sich, mager und nackt, mit wirrem, kurzem schwarzem Haar, ein junger Mann von zweiundzwanzig, dreiundzwanzig (wie alt genau er war, entzog sich seiner Erinnerung). Seine Finger umklammerten die Handgelenke, ertasteten die Längsschnitte an den Pulsadern, die er sich – das war keine Erinnerung , sondern Wissen – selbst zugefügt hatte. Warum er das getan hatte, war ein weiteres Rätsel, aber das Bild jener Tat hatte einen festen Platz in seinem Gehirn: zitternde Finger, zur Faust geballt, während sich die Messerspitze einen Zoll tief in den Arm grub und einen roten Schlitz zum Ellbogen hin zog.
    Er schloss die Augen und verdrängte das Bild. Es verursachte ihm Übelkeit.
    Diese vereinzelten Erinnerungen, diese Schemen im Nebel, waren alles, was er von seinem Leben besaß. Er nahm sich eine davon vor und sah – einen Sechsjährigen, der im Schneidersitz auf dem groben braunen Teppich im Wohnzimmer seines Großvaters kauert und sich von Zeit zu Zeit an den Schienbeinen kratzt, weil das raue Gewebe so juckt. Der Junge klatscht vergnügt in die Hände, während ihm der alte Mann eine Geschichte aus dem Märchenbuch vorliest, das aufgeschlagen auf seinem Schoß liegt. In einem leisen Singsang spricht der Junge die Stellen mit, die sich reimen und wiederholen. Dann, später, ist der Kleine dem Weinen nahe, weil ihm etwas in dem Märchen Angst einflößt, doch der alte Mann liest einfach weiter und ahmt mit grollender Stimme einen bösen Geist oder Menschenfresser nach. Die Furcht, der Geschichte entsprungen, hämmert dem Jungen ein paar Lehren ein: Nimm dich vor Fremden in Acht, weiche nicht von deinem Weg ab, sei nicht habgierig! Das Kind rutscht hin und her und beginnt zu weinen. Die Stimme des alten Mannes faucht, knurrt, keift.
    Diese Erinnerung hob sich so klar und scharf gegen das Nichts ringsum heraus, als spielte sich die Szene direkt vor seinen Augen ab. Es war fast ein Schock, in das Badezimmer zurückzukehren, in die Wanne mit der Mischbatterie, die sich hart in seinen Nacken schob, in den Körper eines jungen Mannes, eines Toten.
    Blinzelnd starrte er in einen Wandspiegel, sah, wie sich sein magerer Körper aufrichtete, und bedeckte mit beiden Händen sein Geschlecht. Zahnpastaspritzer, getrocknete Seifenflecken und ein Netz von winzigen Sprüngen trübten das Glas. Er hob die Finger an die Wange, drückte sie in die Haut. Dann tastete er mit einer Hand die Brust ab, als müsste er sich vergewissern, dass sein Körper aus Fleisch und Blut bestand. Da war das vertraute kleine Muttermal an seinem Hals. Er spähte in die dunkelbraunen Augen seines Spiegelbilds, versuchte in die Seele des Fremden einzudringen, den er vor sich sah. »Hallo, du da!«, sagte er.
    Ein altmodisches Rasiermesser lag auf dem Beckenrand, bedeckt von Rost und getrockneten Blutflecken. Bei dem Anblick zuckte er zusammen, als schwach erinnerter Schmerz über seine Handgelenke wanderte, ganz kurz nur.
    Aden kletterte aus der Wanne, spürte kalte Fliesen unter seinen Sohlen. Das Frösteln kroch von seinen Füßen nach oben.
    In der Wanne lag jetzt ein großer Bilderrahmen. Wie war
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