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0286 - Als der weise Merlin starb

0286 - Als der weise Merlin starb

Titel: 0286 - Als der weise Merlin starb
Autoren: Manfred Weinland
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Ausschreitungen mit Wärtern oder anderen Häftlingen gekommen war.
    Dieser Zustand hatte sich schlagartig geändert, als Kamikaze in die Dreierzelle zu Frost und Osbourne gesteckt wurde, vor zirka drei Wochen. Seitdem verhielt sich dieser Kleiderschrank von Mann lammfromm und zu jedermann freundlich, zumindest solange er nicht ungestört die gesiebte Zellenluft atmete.
    Garry Osbourne, Anfang Zwanzig und eher aus Versehen in den Sumpf aus Gewalt und Verbrechen geraten, war intelligent genug, um zu erkennen, daß nicht er Grund von Kamikaze-Coopers Gesinnungswandel war - sondern Frost.
    Frost, das Genie. Frost, der Führer… Der kleinwüchsige, blaßhäutige Mann mit der Ausstrahlung eines Riesen!
    Osbourne hatte vor seiner Begegnung mit Frost noch nie einen Menschen kennengelernt, der so mühelos und uneingeschränkt mit anderen Persönlichkeiten jonglieren konnte. Ein Blick in Frosts kühle Augen war gleichbedeutend mit der Aufgabe des eigenen Willens. Jedenfalls hatte Osbourne dies oft gefühlt, und auch Kamikaze mußte diese Erfahrung gemacht haben. Dennoch schien Frosts Ausstrahlung nicht auf alle Personen zu wirken, sonst wäre es ihm ein Leichtes gewesen, einfach einen Wärter nach dem anderen aufzufordern, die Tore für ihn zu öffnen und ihn aus dem verhaßten Zuchthaus zu geleiten.
    Ein leises Knacken ließ Osbourne aus seinen Gedanken aufschrecken.
    Schemenhaft sah er, wie Frost den primitiven Nachschlüssel, den er sich in der strengbewachten Gefängnisschlosserei besorgt hatte, in der Jakkentasche verschwinden ließ. Gleichzeitig erhob sich der Mann mit dem Gesicht eines Versicherungsvertreters aus der Hocke. Er ließ sich keinen Triumph anmerken, als er ihnen zuflüsterte: »Raus jetzt. Aber vorsichtig!«
    Kamikaze drückte die Zellentür spielerisch nach draußen auf den schmalen Mettalkorridor, der wie ein Steg auf der zweiten Zellenebene verlief.
    Was nun folgte, war Dutzende Male in jeder Einzelheit abgesprochen worden.
    Lautlos huschten sie nach draußen. Von der Dunkelheit der Zelle wechselten sie ins trübe Dämmerlicht einiger Notlampen, die den riesigen Gefängniskomplex gespenstisch erhellten.
    Frost führte die Dreiergruppe an. Er wußte, daß es ein Risiko für ihn war, die Flucht mit seinen beiden Zellengenossen anzutreten. Aber er wußte auch, daß selbst sein Talent der Menschenführung nicht ausgereicht hätte, die beiden davon zu überzeugen, daß es besser für sie gewesen wäre, ihre Strafen bis zum Ende abzusitzen. Sie brannten wie er darauf, die quälende Enge hinter sich zu lassen. So rasch wie möglich und ohne in der Wahl der Mittel wählerisch zu sein.
    Fast fünfzig Meter trennten sie vom Treppenabgang. Dazwischen lagen etwa zwanzig Zellen, die keine Gefahr darstellten. Weil sie vollständig abgeschlossen waren, das hieß, sie hatten richtige Wände statt einfacher Zellengitter. Anders verhielt es sich auf der anderen Seite. Dort gab es solche Einzelzellen nach amerikanischem Muster. Und damit drohte von dort Gefahr.
    Frost war zu klug, um nicht zu wissen, wie wenig man sich im Ernstfall auf einen »Verbrecherethos« verlassen konnte. In diesem Milieu war sich jeder selbst der Nächste, und wenn einer Wind von ihrem Ausbruchsversuch bekam, ohne selbst eine Fluchtmöglichkeit zu haben, konnte es durchaus sein, daß er Alarm schlug, weil er ihnen neidete.
    Frost verdrängte die Gedanken.
    Ohne Zwischenfall erreichten sie die Metalltreppe. Wenig später langten sie im Erdgeschoß an.
    Und damit wurde es schwierig. Bisher war es das reinste Kinderspiel gewesen, aber nun mußten sie es auf eine offene Konfrontation ankommen lassen.
    Geradeaus vor ihnen lag das hellerleuchtete Büro des Wachpersonals, das diese Schicht übernommen hatte. Durch die große Glasscheibe erkannte Frost vertraute Gesichter.
    Dort saß der Feind.
    Fünf behäbige Staatsbeamte - wahrscheinlich vorbildliche Familienväter die ihre gesicherten Schußwaffen in zugeknöpften Lederhalftern am Gürtel trugen, um das Rund eines Tisches saßen und die Zeit bis zum nächsten Kontrollgang mit Kartenspielen totschlugen.
    Frost gab Kamikaze einen Wink.
    Der Riese löste sich vom Treppengeländer und pirschte sich mit erstaunlicher Geschicklichkeit an das erleuchtete Rechteck der Glasfront heran, hinter der fünf Schlüsel zur Freiheit hockten, ohne von ihren »Schlüsselpositionen« bislang die geringste Ahnung zu haben.
    Ein weiterer Wink, und Osbourne folgte der athletischen Conan-Gestalt.
    Frost wartete zehn
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