Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0286 - Als der weise Merlin starb

0286 - Als der weise Merlin starb

Titel: 0286 - Als der weise Merlin starb
Autoren: Manfred Weinland
Vom Netzwerk:
die Grenzen der Realität schienen von etwas Machtvollem, Unirdischem niedergerissen zu werden. Alte, zerbeulte, ausgeschlachtete Blechhaufen türmten sich um den freien Platz, wo das Feuer brannte. Übereinandergeschachtelt und dumpf im Flammenschein glänzend ragten sie empor: Berge von Autowracks, aller Innereien von Wert beraubt…
    Und jetzt schien es Archimedes, als müßten diese Blechberge auf sie herabstürzen und sie unter sich zermalmen, weil etwas passiert war, was sein bisherziges Weltbild total auf den Kopf gestellt hatte!
    Zauberei!
    Magie!
    Irrsinn!
    Die zwergenhafte Metallfigur tanzte noch immer über dem Feuer und glotzte ihn jetzt aus ihrem rubinroten Auge an, als könnte sie bis in die Abgründe seiner verbrecherischen Seele blicken…
    Hector Lennox, genannt »Archimedes«, fünfundzwanzig Jahre jung; geboren und aufgewachsen in Soho, Vater Zuhälter, Mutter Hure, eine ganze Latte von Vorstrafen, bereits in seiner Schulzeit, dennoch mittlerer Bildungsabschluß und später, während einer längeren Gefängnisstrafe, Absolvierung der Fachhochschulreife über den zweiten Bildungsweg. Sonderbegabung für Mathematik und Logistik, dennoch immer weiter abgerutscht, chancenlos versumpft…
    Er fror.
    Von innen.
    Sein Innerstes wurde nach außen gekehrt. In seinem Kopf war ein brüllender Schmerz. Er riß die Augen so weit auf wie er konnte, versuchte den Blick von der alptraumhaften Zwergenfigur über dem Feuer zu lösen und hinüber zu Jahn zu blicken. Er hätte gerne gewußt, wie es dem Alten in diesen Sekunden erging. Ob er Ähnliches durchmachte wie er.
    Aber der Tod war schneller!
    ***
    Es war kurz vor Mitternacht, als der silbernfarbige Vauxhall vor dem düsteren Gebäude anhielt.
    Zamorra stieg als erster aus, Kerr folgte kurz darauf nach.
    Sie hatten die beiden Damen, Nicole und Babs, allein in Kerrs Wohnung beim gemütlichen Plausch zurückgelassen und waren in die Innenstadt zum Yard gefahren. Kerrs Andeutungen den ganzen Abend über hatten Zamorra letztlich doch keine Ruhe gelassen, und er wollte endlich wissen, was gespielt wurde, nachdem sein Freund nur orakalhaft geheimnisvolle Andeutungen in die Gespräche einstreute.
    Im Gerichtsmedizinischen war Tag und Nacht geöffnet, denn das Verbrechen hatte, wie ein alter Spruch so treffend feststellte, immer Saison.
    Zamorra folgte Kerr geduldig über Treppen, halbdunkle Korridore und durch Aufzüge, die ihn schließlich in die Katakomben des Bauwerkes führten. Dorthin, wo sie alle in Frischhaltebeuteln und bei konservierender Tieftemperatur aufbewahrt wurden, sobald die Autopsie abgeschlossen war. Meist fehlte danach den Leichen etwas, was man zur Klärung der exakten Todesursache entnommen hatte.
    Auch bei dem Toten, den Kerr ihm zeigen wollte, fehlte etwas - allerdings war es bereits bei der Einlieferung des Opfers ins pathologische Institut nicht mehr vorhanden gewesen. Nur hatte es niemand bemerkt.
    »Zunächst war die Todesursache völlig rätselhaft«, erklärte Kerr, während sie den letzten, matt erhellten Korridor entlangstiefelten. Der Gang war von peinlicher Sauberkeit. Ihre Schuhe verursachten hämmernde, von den weißen Wänden widerhallende Echos. »Wäre die Frontscheibe seines Wagens nicht total zertrümmert gewesen, obwohl dort, wo er aufgefunden wurde, kein Unfall stattgefunden hatte, hätte wohl jeder an eine natürliche Todesursache geglaubt. So aber…«
    Sie erreichten eine graue Stahltür.
    Kerr öffnete sie und ließ Zamorra eintreten. Licht flammte auf und riß einen riesigen Saal aus der Dunkelheit, dessen beide Längsseiten aussahen, als wären sie mit zu groß geratenen Schließfächern bedeckt.
    Entfernt ähnelte der Raum der Wartehalle eines Bahnhofes - nur war hier für alle, die hereingekarrt wurden, Endstation.
    »Hier vorn«, sagte Kerr mit steinernem Gesicht. Er drückte den Hebel eines Kühlfaches nach unten und ließ die Tür aufschwingen. Zamorra versuchte, den Namen auf dem Schild zu erkennen, aber Kerr war zu schnell. Er zog bereits die Bahre mit dem Leichnam heraus. Der Tote war nackt - und unversehrt. Zumindest schien es so auf den ersten Blick. Zamorra konnte an dem steifen Körper keine besondere Verletzung feststellen.
    »Der Kopf«, half Kerr ihm auf die Sprünge. Seine Stimme klang ungewöhnlich rauh, fast heiser. »Sieh dir den Schädel an…«
    Zamorra nickte. Sein Blick wanderte nach oben. Er betrachtete den Kopf des toten Mannes und wußte plötzlich, was Kerr meinte - warum er ihn herbestellt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher