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027 - Ruf des Blutes

027 - Ruf des Blutes

Titel: 027 - Ruf des Blutes
Autoren: Timothy Stahl
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ihn nicht; kein Truveer fürchtete den Tod. Vielmehr betrachteten sie das Sterben als letzte Geschichte ihres Lebens, als letztes Abenteuer. Und es hielt sich der Glaube in den Kreisen ihrer Gilde, dass sie sich drüben, auf der anderen Seite alle wieder sehen und einander diese letzten Geschichten erzählen würden…
    Was mochte sich in dem Sarg befinden? Nur Asche? Knochen vielleicht? Ein Totenschädel, dachte Jonpol, würde sich gut ausnehmen in meiner Sammlung. Und in Gedanken sah er sich schon die Legende der Nosfera in großem Kreise zu erzählen und wie die Frauenzimmer spitz aufschrien beim Anblick des knöchernen Schädels.
    Potzblitz, er musste es wissen! Er musste einen Blick in diesen Sarkophag werfen, bevor er ein Raub der Flammen wurde, und wenn es irgend ging, wollte er etwas daraus stehlen.
    Noch ehe es ihm recht bewusst wurde, war Jonpol bereits aufgestanden und schlich sich davon. Unbemerkt verließ er das Lager und kletterte den Weg zurück, den sie herauf genommen hatten. In umgekehrter Richtung erwies sich die Strecke keineswegs als einfacher und kaum weniger mühselig. Auf dem Weg zum Versammlungsort der Nosfera hielt er sich so gut es ging im Dunkeln. Zwei- oder dreimal hörte er Stimmen und versteckte sich, bis sie wieder verklungen waren oder sich zumindest weit genug entfernt hatten.
    Dann war er am Ziel. Kolossal ragte der Bau mit der rotweißen Zeichnung vor ihm in die Höhe.
    Stille. Nichts regte sich. Gut.
    Jonpol nahm nicht denselben Weg wie am Abend zuvor. Er entsann sich der weiten Tore, die direkt in die Halle mit dem Sarkophag geführt hatten. Nachdem er das Gebäude zur Hälfte umrundet hatte, fand er sie.
    Dahinter wogte noch immer ein rotgoldenes Lichtermeer, zu dem sich Hunderte von Kerzenflammen vereinten.
    Neben einem der Tore blieb der Truveer stehen, ging in die Knie und lugte um die Ecke.
    Niemand zu sehen. Und der Sarkophag befand sich ganz in seiner Nähe. Mit fünfzehn, höchstens zwanzig schnellen Schritten würde er ihn erreicht haben. Und schon huschte er darauf zu.
    Eine Bewegung aus den Augenwinkeln erschreckte ihn - dann atmete er auf. Nur sein eigener Schatten, der riesenhaft verzerrt hinter ihm über Boden und Wand glitt.
    Als er endlich neben dem Sarkophag stand, empfand er beinahe etwas wie Ehrfurcht. Die beiden Figuren auf dem Deckel, Mann und Frau, waren von wahrer Künstlerhand geschaffen worden.
    Noch einmal schaute er sich vorsichtig nach allen Seiten um, dann machte er sich daran, den Sargdeckel anzuheben. Er war schwer, aber nicht zu schwer für Jonpol. Spaltweit klaffte er auf, noch nicht weit genug allerdings, dass er hineinsehen konnte.
    Und dann hörte er die Stimmen. Stimmen, die näher kamen! Und Schritte! Die Kerzenflammen gerieten in heftigere Bewegung.
    Weg hier! war Jonpols erster Impuls.
    Doch er widerstand ihm. Es war zu spät, um unerkannt zu entkommen.
    Nein, er brauchte ein Versteck. Und da bot sich nur eines an…
    Ein kurzer Ruck, dann stand der Deckel weit genug offen, dass der Truveer durch den Spalt schlüpfen konnte. Behutsam ließ er den Deckel wieder herab. Schwärze schloss sich um ihn. Und ätzender Gestank.
    Er lag in etwas Pulvrigem. Asche, vermutete er.
    Und trotz des Ekels, den er empfand, erfüllte ihn doch auch eine fiebrige, wunderbare Erregung in Aussicht auf die Geschichte, die er in sein Repertoire würde aufnehmen können.
    Draußen näherten sich die Schritte und Stimmen. Jonpol hörte sie dumpf, etwas verzerrt, aber deutlich genug, um die Worte zu verstehen.
    Gebannt lauschte er den Nosfera. Atemlos. Und sein Herz raste immer schneller.
    Er hörte - die Wahrheit. Die ganze Wahrheit. Und diese Wahrheit war… ganz anders!
    ***
    Als Matt Drax erwachte - oder vielmehr geweckt wurde -, graute draußen bereits der Morgen.
    Rhian war fort, weg wie ein Traum, der erlischt, sobald man die Augen aufschlägt. Doch Matt hatte noch ihren Duft in der Nase, roch ihn überall auf seiner Haut - und er trug seine Hose nicht mehr…
    Kein Traum also. Rhian war tatsächlich bei ihm gewesen. Und sie hatten sich geliebt mit feuriger Leidenschaft, mit fast barbarischer Wildheit.
    Letzteres erinnerte Matt an Aruula, brutal und schmerzhaft, und mit einemmal fühlte er sich hundeelend…
    »Zieh dich an!«
    »Jonpol?«
    »Wer sonst? Hältst du mich für deine Gespielin, mit der du dir die Nacht vertrieben hast, während ich Kopf und Kragen riskierte?«, fragte der Truveer. Sein spöttisches Grinsen wirkte aufgesetzt, als hätte ihm
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