Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
027 - Das Gesicht im Dunkel

027 - Das Gesicht im Dunkel

Titel: 027 - Das Gesicht im Dunkel
Autoren: Edgar Wallace
Vom Netzwerk:
Mensch gewesen, und wenn Audrey als Kind fragte: »Ist er tot, Mutter?« so lautete Frau Bedfords Antwort stets: »Hoffentlich!«
    Ihre Schwester Dora hatte niemals solche unwillkommenen Fragen gestellt, aber sie war auch älter und teilte die unbarmherzigen Ansichten ihrer Mutter.
    Audrey trank noch eine Tasse Tee, und dann war alles vorüber.
    Sie ging durch den winterlichen Garten zum Friedhof, stand eine Weile vor dem Grab, sagte halblaut: »Gott befohlen«, und kehrte ins Haus zurück.
    Anfang und Ende. Sie war nicht betrübt und auch nicht sehr froh. Vor der Zukunft hatte sie keine Angst. Sie hatte eine gute Erziehung genossen, viel gelesen, viel nachgedacht und sich an langen Winterabenden mit Stenographie beschäftigt.
    »'ne Masse Zeit!« brummte der Chauffeur, während er ihren Koffer in den klapprigen, muffigen Wagen warf.
    In diesem Augenblick erschien ein fremder Mann und sagte, den Hut in der Hand: »Verzeihung, Fräulein Bedford - mein Name ist Willitt. Könnte ich Sie heute abend nach Ihrer Rückkehr sprechen?«
    »Ich kehre nicht zurück«, erwiderte Audrey.
    »Nicht? Darf ich dann um Ihre Adresse bitten? Ich muß Sie in - in einer sehr wichtigen Angelegenheit sprechen.«
    »Eine Adresse kann ich Ihnen nicht geben. Aber wenn Sie mir die Ihrige geben, werde ich Ihnen schreiben.«
    Er kritzelte seine Adresse auf ein Blatt Papier; sie nahm es, stieg ein und schlug die Wagentür zu.
    Der Unfall ereignete sich an der Ecke von Ledbury Lane. Dick Shannon nahm die Kurve zu knapp und schnitt den einen Kotflügel der alten Taxe wie mit einem Messer ab.
    Audrey stand schon auf der schmutzigen Landstraße, als Dick mit dem Hut in der Hand und reuigem Ausdruck auf seinem hübschen Gesicht auf sie zugeeilt kam.
    »Es tut mir furchtbar leid! Sie sind doch nicht verletzt?« Er schätzte sie auf siebzehn Jahre, obwohl sie schon neunzehn war. Sie war billig angezogen, der Mantel offenbar umgearbeitet. Auch ihr Pelzkragen war schäbig und abgenutzt. Diese Tatsachen entgingen ihm jedoch. Er blickte nur in ihr Gesicht, dessen Schönheit ihm makellos erschien. Die Linie der Augenbrauen vielleicht oder die Stellung der Augen, der geradezu vollkommene Mund oder die Farbe und Beschaffenheit der Haut ... Er fürchtete sich davor, sie sprechen zu hören und seine Einschätzung einer Prinzessin in der ungebildeten Aussprache einer Landpomeranze aufgehen zu sehen.
    »Nein, ich war nur ein wenig erschrocken. - Nun werde ich meinen Zug nicht erreichen.« Bekümmert blickte sie auf das beschädigte Vorderrad hinab.
    Ihre Stimme verjagte seine Besorgnisse. Die Bettelprinzessin war eine Dame!
    »Sie wollen zum Bahnhof von Barnham?« fragte er eifrig. »Da komme ich durch - und ich muß Ihrem armen Chauffeur doch auch Hilfe schicken.«
    »Warum passen Sie nicht auf?« schimpfte der Taxifahrer zornig. »Ist die Landstraße denn nur für Sie da?«
    Dick knöpfte seinen Mantel auf und tastete nach seiner Brieftasche. »Hier ist meine Karte, eine Banknote und meine Bitte um Entschuldigung«, sagte er. »Ich werde Ihnen Leute aus Barnham schicken. Und nun, mein Fräulein - wollen Sie sich mir anvertrauen?«
    Sie stieg lächelnd ein, ihr Koffer wurde umgeladen, und Dick nahm seinen Sitz ein. »Darf ich Sie nach London fahren?« fragte er, als das Auto sich in Bewegung setzte.
    »Ich glaube, ich möchte lieber mit der Bahn fahren. Es kann sein, daß meine Schwester an den Bahnhof kommt, um mich abzuholen.«
    »Sie wohnen hier in der Gegend?«
    »Ja, ich hatte eine Geflügelfarm in Fontwell. Aber von Hühnern kann ich nicht leben, und da hab' ich das alte Haus verkauft - oder vielmehr, die ganze Sache hat sich in Hypotheken aufgelöst.«
    »Wie schön, daß Sie eine Schwester haben, die Sie an der Bahn erwartet«, sagte er in fast väterlichem Ton. Sie kam ihm so jung vor. »Ah, da sind wir ja schon in Barnham!« Er stieg mit ihr aus, trug ihr den jämmerlichen kleinen Koffer auf den Bahnsteig und bestand darauf, das Einlaufen ihres Zuges abzuwarten.
    »Ihre Schwester lebt wohl in London?«
    »Ja, in der Curzon Street.«
    »Ist sie - ich meine: Ist sie da angestellt?«
    »O nein. Sie ist verheiratet - mit Herrn Martin Elton.«
    »Teufel auch!« entfuhr es ihm zu seinem Schrecken. Glücklicherweise wurde der Zug gerade gemeldet, und er lief weg, um ein paar Zeitschriften zu kaufen.
    »Es ist furchtbar nett von Ihnen, Herr ...? Ich heiße Audrey Bedford.«
    »Den Namen werde ich nicht vergessen!« rief er ihr nach, denn der Zug setzte sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher