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0255 - Die Gefangene der Teufelsinsel

0255 - Die Gefangene der Teufelsinsel

Titel: 0255 - Die Gefangene der Teufelsinsel
Autoren: Jason Dark
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alles Entsetzen der Welt in sich zu tragen schien.
    Der Schrei gellte über den Platz. Er zitterte durch die klare Luft und verebbte nur allmählich.
    Er schockte die Menschen. Er machte sie sprachlos, und in jedem kroch das Grauen hoch.
    Der Schrei an sich war schlimm genug. Unbegreiflich auch die Tatsache, daß ihn ein Toter noch ausstoßen konnte.
    Am schlimmsten jedoch empfanden die Menschen, daß dieser Schrei nicht zu einem Mann paßte, sondern die Stimme einer Frau war…
    ***
    Auch die alte Azucena hatte den Schrei gehört. Wie alle anderen war sie von ihm ebenfalls überrascht worden. Sie schien mit dem Boden verwachsen zu sein, so erstarrt stand sie auf dem Fleck, während vor ihren Lippen der Atem wölkte.
    Sie hielt das Weihwasser-Gefäß noch in der rechten Hand. Der Blick war nach unten gerichtet, die Augen weit aufgerissen, und sie starrten die Leiche an.
    Eine Leiche, die sich dort veränderte, wo sie von dem Weihwasser getroffen worden war.
    Es hatte die nassen Flecken auf dem Toten hinterlassen, und genau dort, wo sich die Flecken befanden, kräuselte Rauch aus dem Körper hervor.
    Dünne Fäden, die in der klaren Luft aufwärts stiegen und an den Qualm von Zigarren erinnerten.
    Es waren Sekunden, in denen die alte Zigeunerin so stehenblieb. Sie konnte das Gefäß mit dem Weihwasser plötzlich nicht mehr halten, öffnete ihre Hand, so daß es ihr aus den Fingern rutschte und zu Boden fiel, wo es liegenblieb.
    Die Stimme einer Frau war aus dem Mund der Leiche gedrungen. Etwas Unwahrscheinliches, ein magisches Phänomen, für das auch die alte Azucena vorerst keine Erklärung fand.
    Aber sie kannte die Stimme, sie wußte genau Bescheid, und sie ahnte auch, daß man ihr eine Botschaft bringen wollte.
    »Marita!« schrie sie laut und deutlich. »Das ist Marita gewesen. Herr im Himmel!«
    Ihre Worte waren ebenso laut wie der Ruf. Und auch sie hallten über den Trauerplatz. Sie schufen bei manchem Zuhörer eine Gänsehaut, wobei sie gleichzeitig das Entsetzen durch ihre Körper fluten ließen. Hier war ein Ereignis eingetreten, das wohl keiner verstand, doch jedem war klar, es hier mit den Folgen von Ereignissen zu tun zu haben, die in der jüngsten Vergangenheit lagen.
    »Marita!« Wieder schrie Azucena diesen Namen. »Marita, wo bist du? Welch ein Satan hält dich gefangen!«
    Sie bekam keine Antwort. Der Tote schwieg. Nur noch dünn war der Rauch, der aus seinem Körper kroch. Auch sein Gesicht war von einigen Weihwasserspritzern getroffen worden. Dort hatte es große Flecken hinterlassen, und die Haut wirkte verbrannt.
    Azucena wankte. Mit dieser Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Die Leichenfeier war auf schaurige Art und Weise unterbrochen worden, wobei die alte Zigeunerin sich selbst die Schuld gab. In der Bewegung drehte sie sich, streckte wie bittend ihre Arme aus, als wollte sie die Menschen umfangen, und war froh, als Ecco vorstürmte und sie auffing.
    Im letzten Moment hatte der Mann zugegriffen. Er mußte die Frau einfach halten. Sie wäre sonst zu Boden gestürzt und hätte sich wer weiß was brechen können.
    So hielt er sie fest.
    Sie lag auf seinen Armen, befand sich in der Rückenlage, wobei Ecco in ihr zerfurchtes Gesicht schaute und auch die Angst in ihren Augen entdeckte.
    »Bitte!« flüsterte sie. »Bitte…«
    »Du solltest jetzt nicht reden, Azucena. Es ist besser, wenn du deinen Mund hältst. Wir werden schon dafür sorgen, daß alles glattgeht. Wirklich…«
    »Ja, ja…«
    Ecco blieb stehen. Er schaute über die in seinen Armen liegende Frau hinweg und runzelte die Stirn. Die Gesichter der Zigeuner waren auf ihn gerichtet. Die Männer und Frauen erwarteten von ihm, daß er etwas tat, denn er hatte jetzt die Führung übernommen.
    »Ich erlaube mir aus besonderen Gründen, die Trauerfeier zu unterbrechen. Laßt die Leiche stehen. Geht wieder in eure Wagen. Wenn ich euch brauche, sage ich Bescheid.«
    »Und was ist mit Azucena?« fragte jemand.
    »Um die kümmere ich mich. Ich werde sie in ihren Wagen bringen und ihr etwas zu trinken geben. Sie hat einen Schock bekommen. Den muß sie erst überwinden.«
    Das sahen alle ein. Die Zigeuner wandten sich ab. Sie drehten Ecco und der alten Azucena den Rücken zu.
    Schweigend verließen sie den Trauerplatz. Die Fackeln wurden zum größten Teil gelöscht. Rauch trieb träge durch das Lager.
    Ecco ging mit Azucena zu deren Wagen. Er schritt wie ein Roboter. Den Kopf hielt er erhoben, der Blick war geradeaus gerichtet. Unter seinen
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