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0238 - Die Angst kriecht in das Kellerloch

0238 - Die Angst kriecht in das Kellerloch

Titel: 0238 - Die Angst kriecht in das Kellerloch
Autoren: Die Angst kriecht in das Kellerloch
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gingen auf die Tür zu. Brunly zupfte mich am Ärmel.
    »Wäre es nicht besser zu warten, bis Loose herauskommt?«, fragte er heiser.
    »Wissen Sie, was er da drin vorhat?«, fragte ich zurück.
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Na also!«
    Mit einem leichten Druck meines Armes sorgte ich dafür, dass Brunly hinter uns bleiben musste, als wir die beiden Glasflügel der Tür öffneten.
    Ich warf einen raschen Blick hinüber zu der chromblinkenden Theke, wo die Serviererinnen ihre Bons abgaben und Kuchenteller und Kaffeekännchen in Empfang nahmen. Eine von ihnen hatte uns angerufen. Es schien die Rotblonde zu sein, die gerade ihr Tablett aufnehmen wollte. Mit einem viel zu deutlichen Neigen ihres Kopfes zeigte sie nach links zu der langen Fensterfront. Loose musste die Serviererinnen beobachtet haben. Wir erkannten ihn in dem Augenblick, als er aufsprang und einen schweren Colt hochriss.
    »Deckung!«, brüllte ich und gab Brunly einen harten Stoß.
    In der gleichen Sekunde bellte Looses Waffe. Der Krach des schweren Colts erfüllte den ganzen Raum. Ein kurzer Feuerstrahl zuckte aus der Mündung…
    ***
    Ein Buick Invicta rollte durch den Hollandtunnel herüber nach Manhattan. Zwei Männer saßen in dem Fahrzeug. Während der jüngere am Steuer saß, hatte es sich der alte Mann auf dem Beifahrersitz bequem gemacht. Der junge Mann trug einen mittelgrauen einreihigen Anzug von gediegener Qualität. Das Haar des Mannes war kurz geschnitten. Krawatte, Hemd und Manschettenknöpfe verrieten, dass er zu den höheren Einkommensschichten gehörte.
    Ganz anders sah dagegen George Hammilton aus. Er war 64 Jahre alt, und man nannte ihn nicht umsonst den König der Landstreicher, den King of The Tramps. Er trug eine dunkelblaue Hose mit einem hellen Fischgrätenmuster, dazu ein orangefarbenes Hemd und ein giftgrünes Jackett. Alle diese Kleidungsstücke waren mehrfach ausgebessert, und dabei hatte es keine Rolle gespielt, ob die Farbe des Flickens zum Ton des Grundmaterials passte. Es gab rote Flicken auf der blauen Hose, grüne Flicken auf dem roten Hemd und schwarze auf der grünen Jacke. Am Gürtel hatte sich der Tramp mit einem Stück Schnur eine Flasche aus einem hellen Kunststoff festgebunden. Neben ihm lag ein Zylinder, der einmal mausgrau gewesen sein konnte, jetzt aber in allen Farben des Regenbogens schimmerte.
    »In ein paar Minuten sind wir an der Ecke, wo ich Sie absetzen soll«, sagte der junge Mann. »Hoffentlich hat Ihnen die Fahrt gefallen.«
    »O ja, sehr!«, nickte der alte Landstreicher.
    »Was wollen Sie eigentlich in New York?«, fragte der junge Mann. »Ist so eine Betonwüste denn das Richtige für einen Tramp?«
    »Ach«, brummte George, »das ist eine sentimentale Geschichte. Ich bin in New York geboren, und ich möchte in New York sterben. Das ist alles. Deswegen komme ich hierher zurück.«
    »Sterben?«, fragte der junge Mann erschrocken. »Aber Sie haben doch nicht die Absicht, schon zu sterben, George? Sie machen doch einen verdammt rüstigen Eindruck!«
    »Ich fühl mich auch verdammt rüstig, wenn Sie das meinen«, erwiderte der Alte. »Sehen Sie, so etwas ist schwierig zu erklären. Wer, wie ich, dreißig Jahre lang kreuz und quer durchs Land gestreift ist, wer in Felshöhlen in Alaska und in den Kaktusfeldern von Mexiko geschlafen hat, der nimmt allerlei Dinge an, die heutzutage eigentlich nur noch die wilden Tiere haben. Und ein wildes Tier weiß genau, wann es sterben wird. Dann geht es beiseite in die Einsamkeit, 6 legt sich hin und wartet auf den Tod. Ich kann’s Ihnen auch nicht begründen, warum ich es fühle. Aber es ist da. Ganz deutlich ist es da, das Gefühl, dass ich bald das Zeitliche segnen werde. Übrigens sind wir da. Wenn Sie mich hier rauslassen würden…«
    »Aber natürlich, George.«
    Der Buick schob sich an den Rand des Gehsteigs und hielt. George kletterte hinaus. Er beugte sich vor und gab dem jungen Mann die Hand.
    »Und nochmals vielen Dank«, sagte er. »Es war verdammt nett von Ihnen, dass Sie so einen alten Landstreicher mitgenommen haben.«
    »Ich muss mich bei Ihnen bedanken, George«, erwiderte der junge Mann ernst. »Es war eine sehr interessante Fahrt. Ich frage mich, ob Sie mir wohl einen Gefallen tun würden, George.«
    »Sicher, wenn ich es kann, gern.«
    Der junge Mann griff in seine Brieftasche. Sehr schnell faltete er ein Stück Papier zusammen und drückte es George in die Hand.
    »Ein kleines Andenken«, sagte er. »Und alles Gute für die Zukunft, George!
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