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022 - Ich der Vampir

022 - Ich der Vampir

Titel: 022 - Ich der Vampir
Autoren: Hugh Walker
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entfernte sich. Das Licht der folgenden Blitze kam von jenseits der Hügel und war längst nicht mehr so hell, und die Abstände zwischen Blitz und Donner wuchsen rasch.
    Gleich darauf ging das Licht an. Vick vernahm einen Seufzer der Erleichterung durch die Tür und die Stimme des Mädchens.
    „Großer Gott, was war das?“
    „Weiß nicht“, erwiderte Vick lakonisch und suchte noch immer nach einer Möglichkeit, die Tür zu öffnen.
    „Hat man Sie eingeschlossen?“
    Vick stieß einen Fluch aus. „Es sieht so aus!“
    „Hier steckt auch kein Schlüssel, nicht mal ein Schlüsselloch ist zu sehen.“
    Er rüttelte nun ebenfalls. „Es kann nicht viel zu bedeuten haben“, bemerkte er dann. „Sonst wären Sie nicht frei.“
    „Ja“, meinte sie überrascht, als hätte sie diesen Aspekt noch gar nicht bedacht. „Da haben Sie recht.“
    Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stellte erstaunt fest, dass sie stehen geblieben war – drei Minuten nach elf. Um diese Zeit mussten sie etwa dieses Haus erreicht haben. Und seither war einige Zeit vergangen.
    „Wie spät haben Sie?“ fragte er.
    „Elf vorbei“, sagte sie. „Aber das ist nicht gut möglich, ja, sie steht, tut mir leid, meine Uhr ist stehen geblieben.“
    „Wann genau?“ fragte er mit angehaltenem Atem und wunderte sich gleichzeitig über die Spannung, die ihn plötzlich erfasst hatte.
    „Zwei – nein, drei Minuten nach elf, aber warum bloß?“
    Ein kaltes Gefühl ergriff von ihm Besitz ohne dass er es verhindern konnte.
    „Wir sollten jetzt endlich schlafen“, meinte er. „Gute Nacht, Marion.“
    Einen Augenblick herrschte Stille, dann sagte sie mutlos: „Gute Nacht, Herr Danner.“
    Als ihre Schritte sich entfernt hatten, ließ er sich mit pochendem Herzen aufs Bett fallen. Es war ein völlig verrückter Gedanke: Da standen beide Uhren auf drei Minuten nach elf! Das erfüllte ihn mit bohrender Angst.
    Aber Katalins Worte schwirrten wie ein Schwärm lästiger Mücken durch seine Gedanken:
    Ich habe zwei Feinde da draußen, die in diesen Wänden alle Bedeutung verlieren: die Zeit und den Tod.
    Er schlief unruhig.
    Da waren Gesichter, die er nicht kannte, die ihn beobachteten und mit spöttischem Kichern in seine Träume lauschten. Er war nie allein. Etwas lauerte auf jeden Atemzug, jede schlaftrunkene Bewegung, jeden verschwommenen Gedanken. Mehrmals wachte er auf, der festen Überzeugung, flüsternde Stimmen neben seinem Bett vernommen zu haben.
    Aber immer war das Zimmer leer, die Tür verschlossen.
    Gegen Morgen sank er in einen Schlummer der Erschöpfung, aus dessen Bann er nicht erwachte, obwohl die Aktivität der geheimnisvollen Beobachter nicht nachließ.
    Er erwachte auch nicht, als er die Schreie vernahm, die wie ein Rasiermesser in sein benommenes Bewusstsein schnitten: die Schreie einer Frau.
    Irgendwo in den Tiefen seines schlaftrunkenen Gehirns wusste er, dass es Marion Schneider war, die schrie, und er wusste auch, als die Schreie endlich schwächer wurden und erstarben, dass sie tot war.
    Sie schwanden nie, die hungrigen Beobachter mit ihren ewig flüsternden Stimmen.
    Er hasste sie – und diesen lüsternen Hunger nach Leben, mit dem sie ihn sezierten. Aber eine bleierne Müdigkeit lähmte ihn, ließ ihn dahindämmern zwischen Schlaf und Wachsein. Schließlich blieb von all dem Hass und den Alpträumen nur die geduldige Erwartung des Tages übrig.
    Aber der Tag kam nicht. Kein Licht drang in die Dunkelheit um ihn.
    Wie sollte das auch geschehen? Stand nicht die Zeit still in diesem Haus? Musste das nicht bedeuten, dass es drei Minuten nach elf  blieb – für immer?
    Der Gedanke erfüllte ihn mit solcher Panik, wie sie ein lebendig Begrabener fühlen musste, wenn er unter der Erde erwachte …
     

     

Als er erwachte, schwebte Katalins Gesicht über ihm.
    Es hatte sich verändert. Die Züge wirkten jünger und frischer. Wie die eines jungen Mädchens. Der selbstbewusste, herrische Ausdruck war weggewischt.
    Er richtete sich stöhnend auf. „Welch eine Nacht!“
    Sie nickte. „Sie schlafen sehr unruhig.“
    Er sah sie verwirrt an. „Ich fühle mich, als hätte ich zehn schlaflose Nächte hinter mir.“
    „Sie sind müde, ich werde wieder gehen“, sagte sie.
    „Nein, bitte“, sagte Vick rasch. „Bitte, bleiben Sie. Wie spät ist es?“
    „Sie haben doch eine Uhr. Sehen Sie nach, Vick. Mir bedeutet Zeit nichts.“
    Er starrte gebannt auf das Ziffernblatt. Halb zwei Uhr. Seine Uhr stand nicht auf drei Minuten
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