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02 Winter am Ende der Welt

02 Winter am Ende der Welt

Titel: 02 Winter am Ende der Welt
Autoren: Annegret Heinold
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Winter hier milde sind. Es ist zwar Kanada, aber es ist der Süden Kanadas. Ein kleiner Ort in British Columbia, an der Westküste von Vancouver Island. Früher war hier das Winterlager der Indianer. Kann man verstehen, weil es ja so milde ist. Jetzt ist es mein Winterlager. Das ist schon weniger zu verstehen. Aber es hat offensichtlich damit zu tun, dass ich nicht in der Lage war, Jorge Monteiro zu zähmen und zu zivilisieren. Und ihn dazu zu bringen, seine sanften und verletzlichen Seiten anzunehmen. Und noch viel weniger dazu, meine sanften und verletzlichen Seiten wahrzunehmen. Und schon gar nicht dazu, auf meine sanften und verletzlichen Seiten auch Rücksicht zu nehmen.
    Das kann ich natürlich nicht als Antwort geben, wenn die Leute mich fragen: was machen Sie hier? Und wenn schon hier, warum dann ausgerechnet im Winter? Denn das ist wirklich ungewöhnlich, in Lissabon zu wohnen und den Winter hier in diesem kleinen Dorf im Nirgendwo zu verbringen. Im Sommer, im Sommer könnten es die Leute noch verstehen, dass man aus Portugal hierher kommt. Im Sommer kommen viele Touristen hier ins Dorf. Von überall her. Angler, um Lachse zu fangen. Fotografen, um Bären und Adler zu fotografieren. Naturliebhaber, die Natur genießen wollen. Aber im Winter? Was gibt es hier schon im Winter. Nichts. Nichts gibt es hier im Winter.
    Also habe ich mir eine gute Antwort zurechtgebastelt und die lautet so: Mir geht die Hitze in Portugal auf den Keks, die Sommer sind so heiß in Lissabon, da kann ich gut ein bisschen Regen vertragen.
    Und in der Tat – das entspricht der Wahrheit. Aber wie das so ist mit der Wahrheit – manchmal gibt es viele. Die eine Wahrheit ist: Ja, es ist in Portugal im Sommer heiß und in Lissabon steht die Hitze in den Straßen, die Luft flimmert, man hat das Gefühl, der Teer schmilzt unter den Sandalen und man ist dankbar für die kleinste Brise, die nachts über den Tejo weht und einem wenigstens die Illusion einer Abkühlung vermittelt. Und nach fast dreißig Jahren Hitze kann man so einen regenreichen Winter hier wirklich gut wegstecken.
    Aber das ist natürlich kein echtes Argument, denn in Portugal regnet es im Winter ja auch. Oft sogar reichlich. Und es ist kalt. Aber wie. Aber hallo. Wie sagte Anna damals, als ich sie kennenlernte und wir im Bairro Alto zusammen im Bota Alta das erste Mal gemeinsam Essen gingen? Der erste Winter in Portugal ist der kälteste. Vermutlich einfach auch deswegen, weil man das so nicht erwartet hat. Und vielleicht auch, weil man vorher gar nicht wusste, wie ungemütlich sich acht oder zehn Grad anfühlen, wenn es draußen feucht ist und drinnen nicht geheizt.
    Das Bota Alta war ein enges gemütliches Restaurant in der Rua da Atalaia und es gab Kassler mit Mandeln und deswegen gingen wir einmal im Monat dorthin, die Anna, die Clara und ich, denn wo bekommt man in Portugal sonst schon Kassler, das kennt da ja kaum einer. Ich weiß nicht, ob es heute noch Kassler mit Mandeln dort gibt, im Bota Alta. Ja, ich weiß ja nicht mal, ob das Bota Alta überhaupt noch existiert.
    Aber Anna existiert noch, seit einiger Zeit verwitwet und plötzlich und unerwartet (für Clara und mich) in neuer An-und-Ab-Beziehung mit Miguel Moreira (Clara und ich sind ein bisschen besorgt), und Clara existiert auch noch, allerdings nach letzen Meldungen irgendwo in Argentinien (Anna und ich sind ein bisschen besorgt). Und ich existiere auch noch. Beziehungsweise ich versuche es. So gut es eben geht, ohne Jorge Monteiro. Wegen der Finanzen, natürlich, denn jetzt muss ich mit Anfang fünfzig noch mal ganz neu anfangen und gucken, wie man in dieser Welt Geld verdienen kann. In meinem Alter. Mit einem nie wirklich genutzten Romanistik-Studium. Nach fast dreißig Jahren als Ehefrau und Mutter. Aber es ist nicht nur das.
    Jorge fehlt mir.
    Und ich bin selber schuld.
    Denn ich habe ihn verlassen. Ich bin ausgezogen. Und als ich auszog, hat er doch wirklich zu mir gesagt: Jasmin, ist dir klar, dass du damit eine harmonische Familie zerstörst?
    Na, der Mann hat Nerven. Und womöglich sogar recht. Denn auf eine bestimmte Art und Weise war es eine harmonische Familie. Jorge hat als Professor für Portugiesisch an der Uni das Geld verdient. Ich habe das gemütliche Heim geschaffen. Ich habe Stück für Stück das Haus in Campo de Ourique renoviert, morgens die Kinder in die deutsche Schule gebracht und rund um die Uhr dafür gesorgt, dass der Haushalt glatt lief. Die Kinder hatten ihre Freunde. Ich habe
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