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02 Winter am Ende der Welt

02 Winter am Ende der Welt

Titel: 02 Winter am Ende der Welt
Autoren: Annegret Heinold
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keine Sorgen, weil die Beine aussehen wie abgehackt, das war bestimmt ein Jäger. Aber dann wird mir klar: die Beine sind zwar abgehackt, aber auch abgenagt. Und das war kein Jäger.
    Das war ein Puma oder ein Bär. Daneben liegen Fischgräten. Auch blank. Ich glaube, wir gehen lieber. Ich muss nur noch Peppermint davon überzeugen. Peppermint guckt traurig und treuherzig, warum soll sie diesen schönen Knochen liegen lassen? Da gibt es keinen Grund für. Außer: Ich bin stärker und ziehe sie einfach weiter. Und dann gehen wir ins Dorf zurück.
    Ich versuche die Spaziergänge zum Nachdenken zu nutzen.
    Was, was und nochmal was soll ich mit mir und meinem Leben anfangen? Es gibt keine Kinder mehr, die mich brauchen, die Kinder sind groß und aus dem Haus, sie studieren und nicht mehr lange und ich werde womöglich Oma sein. Oma. O Gott. Wie das klingt! Das klingt nach alt. Das klingt nach weißhaarig. Das klingt nach ... nach ... nach Strickjacken und schmerzenden Gelenken, nach Gedächtnisverlust und Altersheim. Ich merke, wie mich die Panik erwischt.
    Panik, dass ein Bergpuma aus dem Gebüsch springt und mich abnagt wie die Karibubeine.
    Panik, dass ich ohne Geld auf der Straße stehe.
    Panik, dass ich alleine alt werde.
    Aber was soll ich tun? Zurück zu meinem untreuen Ehemann und diese junge hübsche Studentin, mit der ich ihn neulich im Restaurant O Retiro gesehen habe, an Tochter statt bei uns wohnen lassen (natürlich nicht – just kidding )? Jorge hat diese Affäre nicht gebeichtet. Jorge weiß nicht mal, dass ich ihn gesehen habe, denn ich bin schnell wieder aus dem Retiro raus. Womöglich wundert er sich bis heute, warum ich ihn so plötzlich im November verlassen habe, warum ich unsere harmonische Familie zerstört habe, aber ich finde, er hat es sich im Laufe der Jahre gründlich verdient.
    Ich weiß nicht ein noch aus und bin kurz davor, die Prozacs selber zu nehmen, statt sie Peppermint zu geben. Ich fange langsam an, mich zu freuen, dass Aprils Mutter krank ist und ich den Pudel noch eine Weile als Gesellschaft behalten darf. Da sieht man mal. Ich ziehe fester an Peppermints Leine und sie wirft noch einen Blick zurück in Richtung abgenagte Knochen und dann sehen wir zu, dass wir nach Hause kommen.
     
    Ich koche mir eine große Kanne Zitronentee und Peppermint kriegt ihre Tablette und ich bekomme eine Runde Casablanca, in schwarz-weiß und schön wie immer. Und ja, ich kenne die Definition der Romantikerin. Und jetzt mal ganz ehrlich, natürlich hoffe ich jedes Mal wieder ein bisschen, dass Rick und Ilsa sich kriegen, nicht wahr.
    Und als die drei auf dem Flugfeld stehen und ich mal wieder hoffe, dass sie sich doch noch kriegen, klingelt es plötzlich an der Tür. Ich gehe hin und mache auf, und da steht Clara. Clara, die doch eigentlich in Argentinien ist. Im Hintergrund hört man Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann.
    „Jeez Louise“, sagt Clara. „Du siehst das immer noch?“
     
    ***
     
    „Was ist mit deinem Produzenten“, frage ich Clara
    „Ich habe ihn verlassen“, sagt Clara.
    „Und ich dachte, ihr wart so glücklich, da in LA in Hermosa Beach, in der dreiundreißigsten Straße“, sage ich. „Schönes Appartement, und so nah am Strand.“
    Denn das hat mir Clara gestern Nacht nämlich noch bei einer Flasche Sawmill Creek (na gut, zwei und ja, so heißt die Marke wirklich) erzählt, wie glücklich sie mit ihrem Filmproduzenten ist. Wo sie überall hingegangen sind. Von den ganzen Partys und Treffen. Von Alans Boot in der Marina Del Rey. Vom Segeln in der Bay von Santa Monica, mit Blick auf Seehunde und Riesenrad. Und wie viele Leute sie kennengelernt hat und dass die Wohnung nur zwei Blocks vom Meer entfernt ist. Dass sie jeden Tag die Strandpromenade langlaufen. Und wie schön es ist, sonntags am Pier im Café Bonaparte Kaffee zu trinken und ab und zu bei Hennessys einen Burger zu essen. Und so weiter und so fort, das ganze Glück einer neuen Liebe in einer neuen Stadt. Neue Liebe für beide. Neue Stadt für Clara.
    „Waren wir auch“, sagt Clara.
    „Und was ist dann passiert?“, frage ich.
    „Was eben so passiert“, sagt Clara.
    „Also los, warum habt ihr euch getrennt?“
    „Wegen Weihnachten“, sagt Clara.
    „Aha“, sage ich.
    „Er hat mir ein i-phone geschenkt“, sagt Clara.
    „Ja, das ist furchtbar“, sage ich.
    Das ist so eine Art paradoxe Intervention, damit Clara merkt, was sie hier eigentlich redet. Denn ein i-phone als Weihnachtsgeschenk ist doch eigentlich
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