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02 - Tanz der Sehnsucht

Titel: 02 - Tanz der Sehnsucht
Autoren: Nora Roberts
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verschmitzt, lachte und schnitt Grimassen, je nachdem, wie es die Stimmung des Tanzes verlangte.
    Ohne Make-up war ihr Gesicht anziehend - oder niedlich, wie Maddy es selbst eher akzeptierte -, mit seinem leicht herzförmigen Schnitt, den kobolthaften Zügen und den großen, goldbraunen Augen. Für die Rolle der Mary Howard alias der Fröhlichen Witwe würde sich Maddy ganz auf das Geschick des Maskenbildners verlassen müssen, um sich etwas Raffiniertes, sinnlich Glutvolles zu geben. Doch jetzt war sie ganz von ihren eigenen Ausdrucks- und Bewegungsmöglichkeiten
    abhängig, um überzeugend den Charakter einer erfahrenen Stripperin vermitteln zu können.
    In einer gewissen Weise, dachte sie, habe ich mich mein ganzes Leben auf diese Rolle vorbereitet, mein ganzes Leben in Zügen und Bussen, unterwegs von einer Stadt zur nächsten, von einem Club zum nächsten, um das Publikum für einen Apfel und ein Ei zu unterhalten.
    Mit fünf war sie schon in der Lage gewesen, ein Publikum einzuschätzen. War es abweisend, war es entspannt, war es aufnahmebereit? Denn die Stimmung des Publikums konnte über Erfolg oder Misserfolg des ganzen Auftritts entscheiden. Und schon früh hatte Maddy gelernt, wie winzige Veränderungen im Ablauf die bestmögliche Wirkung erzielen konnten. Seit sie laufen konnte, hatte sich ihr Leben auf der Bühne abgespielt. Und mit ihren sechsundzwanzig Jahren hatte sie nicht eine Sekunde davon bedauert.
    Sie war eine geborene Zigeunerin. Sie und ihre zwei Schwestern waren zur Welt gekommen, als ihre Eltern unterwegs zu einer Vorstellung gewesen waren. Und so war es fast unvermeidlich gewesen, dass sie eine Broadway-Zigeunerin geworden war.
    Sie hatte vorgetanzt, war durchgefallen und hatte die Enttäuschung verarbeiten müssen. Sie hatte vorgetanzt, Erfolg gehabt und hatte die Angst vor der Premiere verarbeiten müssen. Doch aufgrund ihres Wesens und ihrer Geschichte hatte sie nie ein mangelndes Selbstvertrauen verarbeiten müssen.
    Seit sechs Jahren kämpfte sie sich allein durch, ohne den Rückhalt ihrer Eltern, ihres Bruders und ihrer Schwestern. Sie hatte als Cho
    rustänzerin getanzt und Unterricht genommen.
    Nebenher hatte sie als Kellnerin gejobbt, um den Unterricht, der bei Tänzern nie endete, und die Tanzschuhe, die immer viel zu schnell verschlissen waren, bezahlen zu können. Und sie hatte den Durchbruch zur Solotänzerin geschafft ...
    Ihre größte Rolle war der Hauptpart in „Suzanna's Park" gewesen, eine wahre „Rosine", die sie aufgegeben hatte, als sie das Gefühl bekam, nichts mehr aus ihr herausholen zu können. Die Kündigung war ein Risiko gewesen, doch sie war Zigeunerin genug, um die Veränderung als Abenteuer anzunehmen.
    Und nun studierte sie die Rolle der Mary, die härter, vielfältiger und fordernder als alles Bisherige war.
    Die Musik endete, und Maddy stand mitten auf der Probebühne, die Hände auf den Hüften und schwer atmend. Ihr Körper schrie förmlich danach, zusammenbrechen zu dürfen, doch wenn Myron ein Zeichen gegeben hätte, hätte sie sich aufgerafft und weitergemacht.
    „Nicht schlecht, Kleines." Er warf ihr das Handtuch zu.
    Mit einem schwachen Auflachen verbarg Maddy das Gesicht in dem Handtuch. Es war schon nicht mehr frisch, aber es saugte den Schweiß noch auf.
    „Nicht schlecht? Du weißt verdammt gut, dass es großartig war."
    „Es war gut." Myrons Lippen zuckten. Maddy wusste, das war bei ihm so viel wie ein Lachen. „Ich kann eingebildete Tänzer nicht ausstehen." Doch sein Blick drückte Freude und Dankbarkeit dafür aus, dass sie ein solches Energiebündel war. Sie war sein Werkzeug, sein Kunstwerk. Sein Erfolg hing ebenso von ihren Fähigkeiten ab wie ihrer von seinen.
    Maddy schlang sich das Handtuch um den Nacken. „Kann ich dich etwas fragen, Myron?"
    „Schieß los." Er holte eine Zigarette hervor, eine Angewohnheit, die Maddy mit leichtem Mitleid betrachtete.
    „Wie viele Musicals hast du schon gemacht?
    Insgesamt, meine ich, als Tänzer und Choreograf?"
    „Zu zählen wäre vergebliche Mühe. Sagen wir einfach, viele."
    „Okay." Sie ging bereitwillig darauf ein, obwohl sie ihre besten Steppschuhe darauf setzen würde, dass er die Anzahl der Stücke genau kannte. „Wie schätzt du unsere Chancen bei diesem ein?"
    „Nervös?"
    „Nein. Verunsichert."
    Er nahm zwei kurze Züge. „Das ist gut für dich, für den Erfolg."
    „Ich kann nicht schlafen, wenn ich verunsichert bin. Ich brauche meinen Schlaf."
    Seine Lippen zuckten wieder.
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