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016 - Herrin der Woelfe

016 - Herrin der Woelfe

Titel: 016 - Herrin der Woelfe
Autoren: Hugh Walker
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Jenseits der Rossmann-Fabrik lag die alte verlassene Ziegelei. Dort im lehmigen Boden hatte sie ihn vergraben. Sie erinnerte sich genau an die Stelle hinter der halbverfallenen Gerätehütte, wo sie niemand bemerkt haben konnte.
    Das lag nun zwei Monate zurück.
    Ohne weiter zu überlegen, verließ sie ihre Arbeit und hinterlegte eine Nachricht für Eddie auf ihrem Schreibtisch.
    Niemand sah sie aus dem Büro gehen. Sie überlegte, ob sie ein Taxi nehmen sollte, aber das schien ihr zu riskant. So stieg sie in die Straßenbahn und nach zwei Stationen in einen Bus um und erreichte eine halbe Stunde später das Hafengelände.
    Ein wenig unheimlich war ihr zumute, als sie in jene Straße einbog, in der es geschehen war. Die Stelle war so deutlich in ihrer Erinnerung haften geblieben, dass sie sie sofort wieder erkannte.
    Sie folgte der Straße. Vor ihr tauchte die Rossmann-Fabrik auf. Sie lief beinahe, als sie in den schmalen Seitenweg einbog, der zur Ziegelei führte. Der Boden wurde rasch lehmig. Sie bemerkte kaum Menschen. Einmal hielt sie an und drückte sich eng an den Zaun, als ein Lastwagen aus dem Rossmann-Gelände fuhr. Nachdem er verschwunden war, beeilte sie sich das ebene, gut einsehbare Stück der Ziegelbrennerei zu überqueren. Damals war Nacht gewesen, als sie den Jungen hierher brachte.
    Atemlos erreichte sie die Gerätehütte und lehnte sich keuchend an die Bretterwand.
    Vor ihr befand sich eine rechteckige Vertiefung im Boden, wo der lockere, frisch geschaufelte Lehm eingesunken war.
    Es stimmte also. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Sie hatte den Jungen umgebracht, und sie würde auch heute wieder töten.
    Sie war ein Lykanthrop – ein Wolfsmensch. Ob die Welt nun daran glaubte oder nicht.
     

     
    Der Rest des Nachmittags verging in quälender Unruhe.
    Zeitweilig begehrte sie auf gegen ihr Schicksal, dann wieder gab es Augenblicke, da faszinierte sie der Gedanke über alle Maßen.
    Ohne dass es ihr bewusst wurde, fing sie schließlich an, Vorbereitungen zu treffen. Sie öffnete ihren Kleiderschrank, hob das Bodenbrett hoch und nahm ein weißes Kleid heraus.
    Noch immer tief in Gedanken, zog sie es an und betrachtete sich verwundert im Spiegel.
    Woher hatte sie das Kleid? Es war das Kleid aus ihren Alpträumen.
    Sie ging zum Schrank zurück und starrte überrascht auf das aufklappbare Bodenbrett.
    Staunend über ihre Gründlichkeit schüttelte sie den Kopf; verwundert auch darüber, wie gründlich sie immer wieder alles vergessen hatte, wie stark diese schützende Schranke des Unterbewusstseins gewesen war.
    Nun würde sie alles bewusst erleben. Sie zitterte – schaudernd und in ekstatischer Erwartung zugleich.
    Erneut betrachtete sie sich im Spiegel. Fast schien es ihr, als schimmerte das Kleid rötlich von all dem Blut, das sich darüber ergossen hatte. Seltsamerweise verursachte ihr der Gedanke an Blut keinen Ekel mehr.
    Sie wusste, welchen Zweck dieses eng anliegende Kleid erfüllte: es half die Metamorphose zu verschleiern. Wenn jemand sie während des Tötens beobachtete, dann mochte er später nicht sicher sein, was er gesehen hatte. Hatte ihm nun das unstete Licht einen weißen Wolf vorgegaukelt? Mit Sicherheit vermochte er nur eines zu sagen: Es hatte ein Mädchen in einem weißen Kleid gesehen.
    Früher war sie unvorsichtiger gewesen. In Ulm und Hagenberg. Die Menschen kannten dort zwar auch nicht die Wahrheit, aber sie wussten von dem Wolf, und das war gefährlich genug. Und nichts rüttelt die Öffentlichkeit mehr auf als die Auffindung entstellter Leichen.
    Sie bemerkte auch, dass sie verführerisch aussah in dem Kleid, begehrenswert, weiblich – und vollkommen harmlos. Niemand würde vor ihr weglaufen, wenn er sie kommen sah.
    Sie lächelte unbewusst. Dann legte sie die Kassette mit
    Woiews Aufzeichnungen in das geheime Schrankfach und schloss es sorgfältig wieder. Sie packte Jeans und eine Bluse in die Tasche und steckte Seife, ein Handtuch, einen Kamm und ein kräftiges Parfüm mit ein, denn sie wusste, wie intensiv der Geruch von Blut sein konnte.
    Anschließend kämmte sie ihr langes rotblondes Haar und steckte es zu einem Knoten hoch. Sie ertappte sich dabei, dass sie summte. Alles hatte sein Grauen verloren. Es war ihr Leben. Es hatte zu geschehen wie Essen und Trinken und Stoffwechsel.
    Einer lebt auf Kosten des anderen. Die Menschen waren so wenig perfekt wie alle anderen Geschöpfe.
    Sie mordete nicht – sie ging auf die Jagd.
     

     
    Es war bereits halb acht, als sie
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