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015 - Das Blutmal

015 - Das Blutmal

Titel: 015 - Das Blutmal
Autoren: Jens Lindberg
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und gab ihn ihr.
    Anna blickte hinein. »Was soll sein? Ich sehe nichts Besonderes.« Sie lehnte sich an ihn. »Nur das durchschnittliche Gesicht eines Mädchens, dem du viel zu selten sagst, wie gern du es magst.«
    Veit beugte sich vor. »Ich spinne doch nicht! Eben habe ich ihn noch gesehen!«
    »Was?«
    »Ehrlich! So einen haarfeinen roten Ring um deinen Hals.« Veits Hände beschrieben einen Kreis. »Mir schoss durch den Kopf, so muss es aussehen, wenn jemand mit einer Nylonschlinge erdrosselt wird.«
    Anna lachte. »Du bist ja ein ganz gefährlicher Junge. Hast du denn auf dem Gebiet Erfahrung?«
    »Ach, lass den Quatsch! Komm! Ich habe verdammten Kohldampf.«
    Er hakte das Mädchen unter.
    Ein heftiger Windstoß schlug das Fenster zu. In der Ferne grollte der Donner und kündigte ein Sommergewitter an.
    Veit zwirbelte beim Schreiben seinen gestutzten Schnurrbart. Er übertrug Notizen aus Annas Kollegheft in sein eigenes. Da sie beide im siebten Semester Jura studierten, sparten sie eine Menge Zeit. Nur einer von ihnen besuchte jeweils Vorlesung oder Seminar, der andere profitierte von den Notizen.
    Veit legte den Tintenkuli beiseite und steckte sich eine Zigarette an.
    »Ach, du liebe Zeit!« stöhnte er vor sich hin.
    Er drehte das Radio leiser und lauschte nach draußen. Da war wieder das vertraute Gekeife. Es kam aus der Küche. Ihre Vermieterin, Frau Marianne Spatz, schimpfte wohl mit Anna, die Abendbrot machen wollte.
    Ärgerlich schob Veit den Ledersessel zurück, schlüpfte in seine ausgetretenen Latschen und machte sich auf den Weg zur Küche. Schließlich konnte er nicht immer alles Anna überlassen.
    Schon durch die offene Tür sah er das gewohnte Bild: die spitznäsige Dame des Hauses stand mit in die Hüften gestemmten Händen neben dem Herd.
    »Nein!« keifte sie schrill. »Man ist kein Unmensch – bestimmt nicht, aber einmal muss auch Schluss sein. Sie können nicht jeden Tag bis nachts …«
    »Es ist erst einundzwanzig Uhr, Frau Spatz«, unterbrach Anna sie ergeben.
    »Spät genug. Anständige Menschen …«
    »Und das sind wir nicht?« fragte Veit lauter und schärfer, als er eigentlich gewollt hatte.
    Frau Spatz konterte giftig: »Ach, sie bekommt ritterlichen Beistand! Wie schön! Einer allein stehenden Witwe hilft keiner. Die muss sich von ihren Mietern herumschubsen lassen.«
    Veit stellte sich neben Anna. »Teewasser und ein paar Spiegeleier. Menschen, die arbeiten, brauchen doch wohl nicht hungrig ins Bett zu gehen, wie? Oder irre ich mich da?«
    Anna stocherte verärgert in der Pfanne herum, und Veit schüttete das Teewasser in die Steingutkanne. Beide schwiegen. Sie wussten, dass jedes weitere Wort die gereizte Vermieterin noch mehr aufbringen würde.
    Aber ihr Schweigen wurde nicht honoriert. Frau Spatz sank auf einen Küchenstuhl und stöhnte: »Ich habe jedem von Ihnen ein Zimmer vermietet, ist das klar? Sie verbringen aber Tag und Nacht im vorderen – bei ihr.« Ein Finger schnellte vor. »Wenn Sie wenigstens verheiratet wären! Aber so … Das dulde ich nicht, und überhaupt.« Sie jappte nach Luft. »Wenn mein Mann …« Sie stockte und starrte Anna an. »Was sehen Sie mich so an?«
    »Wie denn?« fragte Anna ruhig zurück.
    »So – so – unheimlich«, stotterte die Frau.
    Anna sah zu Veit hoch. »Hast du mich schon einmal unheimlich dreinblicken sehen?«
    Veit lachte. »Allenfalls unheimlich lieb.«
    Er schaltete die Elektroplatte des Herdes auf Null. Frau Spatz hockte zusammengesunken auf einem Stuhl. Sie schluckte schwer. Ihr kräftiger Adamsapfel hüpfte auf und ab.
    »ist Ihnen nicht gut?« fragte Veit besorgt.
    »Ach, immer diese Aufregung!« Frau Spatz stützte beide Ellbogen auf den Tisch. »Und eben …« Sie presste sich die Fäuste in die Augen. »Schon wieder!« schrie sie. »Das ist wie der böse Blick.«
    Anna zupfte Veit am Ärmel. »Lass die bloß in Ruhe!«
    Veit schüttelte das Mädchen ab. »Ist Ihnen nicht gut, Frau Spatz?«
    »Ich habe auf einmal Angst.«
    Ächzend stand sie auf und stolzierte kerzengerade hinaus.
    Veit sah ihr besorgt, Anna belustigt nach.
    »Hochgradig hysterisch«, stellte Anna fest. »Weißt du, was sie braucht?«
    Veit nahm das Tablett mit der Kanne und den Eiern hoch. »Ist mir völlig schnuppe. Ich jedenfalls brauche jetzt was zu essen.«
    Leonore Idusch war attraktiv, ohne direkt schön zu sein. Ihr großflächiges Gesicht mit den ausdrucksvollen graugrünen Augen war dem Fernseher zugewandt. Sie drehte den Kopf zur Seite, als ihr
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