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015 - Das Blutmal

015 - Das Blutmal

Titel: 015 - Das Blutmal
Autoren: Jens Lindberg
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folgende Blitz das Zimmer kurz in gespenstisches Licht tauchte. Erst Veits Schrei öffnete Anna die Augen.
    »Was hast du?« fragte sie tonlos.
    »Dein – Hals«, stammelte er, »dein Hals …«
    Annas Hände fuhren an ihren Hals. Sie lächelte Veit an. »Was ist mit ihm?«
    Veits Blicke glitten über den Oberkörper des Mädchens, saugten sich dann aber an ihrem Hals fest, während seine Lippen Worte zu formen versuchten.
    In Annas Zügen spiegelte sich jetzt Neugier. Sie legte eine Hand auf Veits Schulter.
    »Nicht!« schrie er verstört und rutschte von der Couch. »Nein – nicht!« Er taumelte bis zur Tür. »Wie – heute Mittag«, stammelte er. »Ein roter Ring – wie aus Blut. Ich habe ihn deutlich gesehen.«
    »Du bist überarbeitet, mein Lieber.«
    Anna stand gelassen auf, knipste das Deckenlicht an und betrachtete sich belustigt im Spiegel der Frisierkommode. Hinter sich sah sie Veits entsetztes Gesicht.
    »Zeig doch der Mutti mal den Halsring!« spottete sie. »Ach Veit, du bist einfach durchgedreht.«
    Zögernd kam Veit auf sie zu, hielt aber mitten im Schritt inne, als die Türglocke stürmisch läutete.
    »Ich gehe«, sagte er erleichtert, froh, aus dem Zimmer zu kommen.
    Veit schleppte sich zur Haustür. Mit zitternden Fingern entfernte er die Kette, die Frau Spatz stets überängstlich vorlegte und öffnete. Im schwachen Licht des Treppenhauses erkannte er den jungen Wilbert, den Sohn des Gemüsemannes, der im Keller des Hauses wohnte.
    »Die Polizei kommt gleich«, sagte er ohne jede Begrüßung.
    »Nett von ihr«, erwiderte Veit und wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn. »Hier hat aber keiner die Polizei gerufen. Jedenfalls nicht wir. Vielleicht Frau Spatz?«
    »Die kann niemanden mehr rufen«, sagte der junge Wilbert dumpf. »Frau Spatz ist tot.«
    »Seit wann?« Veit lehnte sich an den Türpfosten.
    »Seit fünf Minuten. Sie stürzte vom Balkon.« Er legte seine Hand an den Hals. »Krrch! Glatt durch. Vater hörte einen dumpfen Schlag.« Er nickte bekümmert. »Geht manchmal schnell.«
    Veit spürte, wie alles Blut aus seinem Kopf wich; die Beine gummiartig weich wurden, und ganz entfernt hörte er Wilberts Stimme: »Mensch, machen Sie keinen Unsinn!«
    Eine fremde tiefe Stimme war das erste, was Veit bewusst aufnahm.
    Zufrieden sagte die Stimme: »Na, jetzt kommt er zu sich.«
    Es tat ihm weh, die Augen zu öffnen. Er sah in das zerknitterte lächelnde Gesicht eines Mannes, der ihm die Wangen tätschelte.
    »War wohl ’n bisschen viel, junger Mann«, sagte er und nickte mit dem Kopf. »Ich bin Polizeiarzt Ploog. Nein, bleiben Sie liegen!«
    Er legte seine Hände auf Veits Schultern und drückte ihn vorsichtig nach unten.
    Aus dem Hintergrund löste sich Anna und sah auf ihn herab.
    »Das ist ein Ding, was?« sagte sie. »So lebendig beim
    Streiten …«
    Veits Hände fuhren automatisch an den Hals. »Hat sie – ich meine – ob sie irgend etwas Geschriebenes hinterlassen hat?«
    Seine dunklen runden Augen versuchten dem Blick des Mädchens auszuweichen.
    Der Arzt winkte ab. »Später. Sehen Sie erst mal zu, dass Sie wieder richtig auf die Beine kommen. Ich gebe Ihnen für die Nacht noch eine Spritze. Morgen sind Sie dann wieder in Ordnung.«
    Ein uniformierter Beamter erschien in Veits Blickfeld. Er kniete sich neben den Arzt. »Aber ein paar Fragen dürfen wir ihm doch wohl stellen?«
    »Nichts einzuwenden«, sagte der Arzt.
    »Sie sind Veit Kloss, 25 Jahre alt, Student, ledig, geboren am 17. April. Stimmt’s?«
    Veit nickte.
    Der Beamte zog sich einen Stuhl heran. »Ich lese Ihnen das Protokoll von Fräulein Anna Dori vor. Da Sie mit ihr den ganzen Abend zusammen waren, vereinfacht das die Sache. Stimmen Sie ihrem Protokoll zu, können wir es als ihr gemeinsames ansehen.«
    »Mir recht«, sagte Veit. »Ich habe verdammten Durst.«
    »Wasser, Tee, Bier, Kognak? Was ist besser, Doktor?« fragte Anna.
    »Nicht schlecht wäre Wasser – aber ohne Kohlensäure – mit einem Schuss Kognak.«
    Der Arzt tupfte Veits linke Armbeuge mit einem alkoholgetränkten Wattebausch ab und stach dann die feine Kanüle hinein. Langsam drückte er den Kolben herunter und lachte dabei dem Patienten zu. »Morgen früh fühlen Sie sich wieder wie ein junger Gott.«
    »Hoffentlich.«
    Veit trank gierig aus dem Glas, das Anna ihm an die Lippen hielt. Immer noch vermied er ihren Blick.
    Der Polizist begann vorzulesen.
    Wie ein Film aus der Vergangenheit rollte die letzte Stunde vor Veit ab.
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