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015 - Das Blutmal

015 - Das Blutmal

Titel: 015 - Das Blutmal
Autoren: Jens Lindberg
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hätte er gelacht; jetzt aber weinte er ohne Tränen.
    Veit war für das Läuten des Telefons dankbar. Er spielte laut aufatmend den aus tiefem Schlaf Erwachenden.
    »Wer?« fragte er unsicher.
    Anna lächelte ihm zu.
    »Menz«, sagte sie und horchte dann in den Apparat.
    Ihre Lippen formten lautlose Fragen, ihre großen, weit aufgerissenen Augen aber hypnotisierten Veit. Sie schickten ätzende Strahlen aus und spiegelten Triumph, Genuss und wilde Freude wider. Auch Annas Stimme klang tiefer als einst.
    Fast sonor fragte sie: »Und wann steigt das Fest?«
    Veit drehte sich zur Wand. Ihre Blicke schienen Ströme brennenden Öls über seine Haut zu gießen. Erst als die optische Verbindung zu Anna unterbrochen war, konnte er wieder atmen. Er hörte, wie sie den Hörer auf legte.
    »Bestanden?« fragte er heiser.
    »Mit Glanz und Gloria. Er – alle. Fein, was? Und dabei waren die Prüfer womöglich noch schärfer als Reimers. Gerd sagte, er hätte richtige Antworten gegeben und wäre selbst erstaunt gewesen. Er meint, eine gute Fee hätte neben ihm gesessen.« Anna lachte laut. »Und weißt du, wer diese Fee ist?«
    »Nein.«
    »Ich bin es, sagt er. Denn mit unserem nächtlichen Gespräch über Reimers hätte alles begonnen. Gefeiert wird nächste Woche – Freitag.« Sie setzte sich zu Veit. »Freust du dich nicht?«
    »Doch, Schatz. Hast du noch Kopfschmerztabletten? Ich gehe sonst ein.«
    »Hier!«
    Er würgte zwei Tabletten hinunter. »Die letzten«, sagte Anna. »Ich hole dir eben was zum Nachtrinken.«
    Anna kam mit einem neuen Glas Orangensaft zurück. Veit schüttete den Saft in sich hinein. Seiner ausgedörrten Kehle brachte er keine Linderung. Im Gegenteil! Ihm war, als kullerten winzige spitze Kiesel durch seinen Schlund und rissen tausend neue Wunden.
    »Wie spät?« murmelte er mühsam. »Schlafenszeit für Kranke«, erwiderte sie scherzend. »Soll Mutti dich auf den Arm nehmen und gesund küssen?«
    »Du könntest dich anstecken. Lieber nicht.« Veit setzte sich auf. »Ich brauche frische Luft.«
    »Ich öffne das Fenster.«
    »Ich gehe mal um den Block.«
    »Bist du verrückt? Es gießt in Strömen. Willst du dir die Schwindsucht holen?«
    »Ich nehme den Schirm mit.« Veit quälte sich aus dem Bett und zog sich an, während Anna lamentierte. Jedes ihrer Worte peinigte ihn. Sie trafen seine Trommelfelle und legten sich wie eiserne Ringe um sein Herz und drohten es zu zerquetschen.
    »Bis gleich! Ich hole auch neue Tabletten.«
    »Ich komme mit, Schatz.«
    »Bitte nicht!«
     

     
    »Sind Sie hergeschwommen?«
    Der Professor führte Veit wie beim ersten Besuch in die Küche.
    »Meine Frau schläft schon. Sie haben sich verspätet.«
    »Ich konnte nicht fort. Es ist, als ob sie etwas ahnt. Ich habe das Gefühl, an eine unsichtbare Leine gefesselt zu sein.«
    Tonlos kamen die Worte über Veits Lippen.
    »Wieder Kaffee?«
    »Gern.«
    Idusch rückte den Küchentisch an den Herd heran und zog die Deckenlampe weit herunter. Die Männer setzten sich, umfassten die Becher mit heißem Kaffee und tranken. Sie hörten die Wassertropfen aus Veits Mantel auf die Fliesen klatschen.
    »Hören Sie«, begann Idusch, »meine Frau schläft sehr unruhig. Sollte sie hereinkommen, beginne ich ein völlig unverfängliches Gespräch. Klar? Ich darf sie nicht aufregen. Eigenartigerweise ist sie plötzlich wie von Sinnen und fürchtet schwerste Komplikationen.« Er sah bedrückt auf Veit und stocherte die Glut seiner Pfeife herunter.
    »Ich wollte Ihnen am Telefon sagen …«
    Veit nahm seinen Kopf aus dem Lichtkegel.
    »Später. Das Wichtigste zuerst.« Idusch schlug einen blauen Aktendeckel auf. »Natürlich beschäftigte mich Ihre Erzählung. Ist ja auch zu außergewöhnlich. Mir ging der Name Ihrer Freundin dauernd im Kopf herum. Anna Dori – so heißt sie doch, wie?«
    Veit setzte den Becher ab. »Anna Dori. Gott, wie ich den Namen liebte!« Er senkte den Kopf. »Oh, entschuldigen Sie, bitte!«
    »Schon gut. Ich weiß noch genau, wo es mir einfiel. Ich saß im Krankenhaus und wartete auf meine Frau. Kurz nach Ihrem Hiersein. Die letzte verurteilte Hexe in Deutschland hieß Anna, Anna Schwägel, die letzte in Europa Anna Göldi. Genau das referierte ich auch damals im Seminar.«
    Idusch stand auf und klopfte die Pfeife aus.
    »Die Namensgleichheit kann schon eine unbewusste Gedankenassoziation bei sensiblen Menschen auslösen. Ihre Anna – ist sie sensibel, empfindsam?«
    »Nicht übertrieben, würde ich sagen.«
    »Nun ja.
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