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0101 - Die Menschentiger

0101 - Die Menschentiger

Titel: 0101 - Die Menschentiger
Autoren: Franc Helgath
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über dem Dschungel befunden, als er das Bewußtsein verlor.
    Blind wie ein Maulwurf, der sich unter Tags auf die Erdoberfläche verirrt, richtete er sich wieder auf, wurde die Schmerzen, die Zerschlagenheit kaum gewahr, die in seinen Gliedern tobten. Als er diesmal versuchte, die Augen zu öffnen, ging es schon besser. Zwar sah er seine Umgebung immer noch wie durch einen dichten Gazeschleier, doch das Bild lichtete sich allmählich.
    Er sah die Nebel über dem Sumpf, sah die Palmyrapalmen, die ihre Kronen gegen den blaßblauen Himmel reckten, und er sah auch die Pagode. Weit vorne in der dunstigen Ferne.
    Er stemmte sich stöhnend auf seine Unterarme und schaute in die Runde. Rechts neben ihm etwas Weißes. Es dauerte Sekunden, bis er erkannte, daß es eines von Nicoles Knien war, das sich über ein Grasbüschel erhob. Die Schleier verschwanden endgültig vor seinen forschenden Augen. Er kroch auf allen vieren auf das Mädchen zu, voll von banger Erwartung, ob auch sie den »Transport« an diesen Ort einigermaßen unverletzt überstanden hatte, wie immer dieser »Transport« auch stattgefunden haben mochte.
    Eine tiefe Befriedigung breitete sich in ihm aus, als er bemerkte, daß Nicoles Brust sich sacht hob und senkte. Sie lag auf dem Rücken, den Kopf ihm zugewandt. Ihre Augen waren geschlossen. Wie ein dunkler, fasriger Halbkreis stachen ihre samtigen Wimpern von der hellen Blässe ihres zarten Gesichtes ab. Die Nasenflügel bebten leicht, und der Mund zuckte verhalten wie bei einem schmollenden Kind.
    Zamorra griff nach Nicoles rechter Hand, die offen wie eine Schüssel neben ihrem grazilen Körper lag, die Finger nach oben gekrümmt.
    Die Hand war kalt und blaß. Zamorra wollte sie wärmen, und er kroch näher an das bewußtlose Mädchen heran. Er fühlte das Verlangen in sich, diesen zuckenden Mund zu küssen, seine Wange an der ihren zu reiben. Das Verlangen stieg aus der tiefen Zärtlichkeit, die er für dieses Mädchen empfand. Nicole sah so hilflos aus. Allen Widrigkeiten schutzlos ausgeliefert.
    Und dieses Bewußtsein ließ neue Kraft durch seine Adern pulsen. Sein Herz schlug etwas schneller, pochte im gewohnten starken Rhythmus. Er schob sich neben sie, umklammerte das Mädchen und drückte es an sich, um so der Morgenkälte zu begegnen.
    Minuten blieben sie so liegen. Minuten, in denen Zamorra wieder erste klare Gedanken fassen konnte.
    Doch was hieß hier schon »klar«?
    Sie hatten sich auf einem Flug nach Singapore befunden, sie hatten im geschützten Rumpf eines Jets gesessen, der sich in aller Welt vieltausendmal bewährt hatte. Doch nun gab es keinen Jet mehr. Nur mehr dumpf grüne, neblige Wildnis um sie herum.
    Zamorra schoß hoch, als er das Fauchen einer Raubkatze ganz in seiner Nähe zu hören glaubte. Ihm sträubten sich die Nackenhaare. Lauschend hob er sein Ohr der erwachenden Stille entgegen, vernahm jedoch nichts als das Geckern der Affen, die Schreie unbekannter Vögel und das blubbernde Zerplatzen von Gasblasen, die einen Weg durch dicke Schlammschichten an die Oberfläche der Wasser gefunden hatten.
    Kein Fauchen eines Tigers mehr.
    Tiger?
    Wie kam er ausgerechnet auf Tiger?
    Natürlich. Bengalen. Das Land der Tiger. Es war früher einmal sehr bekannt dafür, bevor diese edlen Katzen beinahe ausgerottet wurden.
    Seine Aufmerksamkeit wurde von Nicole abgelenkt, die sich zu bewegen begann. Aus ihrer Kehle stieg ein schluchzendes Seufzen. Ein Vibrieren lief über ihre geschlossenen Augenlider. Die langen, seidig glänzenden Wimpern hoben sich zu einem winzigen Spalt.
    Er tätschelte sie zärtlich.
    »Nicole. Ich bitte dich, Nicole. Komm zu dir!«
    Die Bewußtlosigkeit entließ sie nur sehr langsam. Als sie die Augen endlich öffnete, war ihr Blick noch stumpf und leer. Angst wühlte plötzlich in Professor Zamorras Innern. Angst um Nicole. Eine Angst, die er sich nicht erklären konnte. Sie waren schließlich auf der Erde, wenngleich auf sehr trügerischem Boden. Zamorra hatte die letzten Minuten über bemerkt, daß der Grund unter ihnen leicht schwankte. Sie mußten sich auf einer Art schwimmenden Insel befinden. Ihr Standort veränderte sich ständig. Sie wurden abgetrieben. Die Distanz zu dieser seltsam verloren wirkenden Pagode hatte sich vergrößert.
    Das Bangen um Nicoles Zustand schwand, als er das Erkennen in ihren Augen sah. Wundervolle Augen. Ihre Farbe ließ sich kaum bestimmen. Die Iris war von mehreren Pigmenten gesprenkelt, und Professor Zamorra wunderte sich heute noch
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