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0091 - Götzen und gelbe Gangster

0091 - Götzen und gelbe Gangster

Titel: 0091 - Götzen und gelbe Gangster
Autoren: Götzen und gelbe Gangster
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absolvierte auch diese Schule mit Bravour und war nun Studentin.
    Ein Kind, auch ein chinesisches Kind, das in die Schule eines abendländischen Kulturkreises geht, nimmt ganz zwangsläufig eine abendländische Geisteshaltung an. So war auch Malo eigentlich nur noch dem Aussehen nach eine Chinesin.
    Bei ihren Eltern gab es wohl noch einige alte chinesische Sitten, aber die verloren sich doch immer mehr. Malos Vater war zwar nicht gerade ein Philosoph, aber er nahm aus Geschäftsinteresse, wie viele amerikanischen Geschäftsleute, an öffentlichen Vorträgen und Diskussionen teil, und das hatte seinen Horizont doch etwas geweitet und hatte vor allem sein Denken angeregt.
    Malo konnte sich erinnern, wie oft sie mit ihrem Vater über die ewigen Probleme gesprochen hatte. Gott, Anfang und Ende, Leben, Schicksal usw.
    Vielleicht lag es daran, dass Malo mehr als andere Chinesenkinder amerikanisiert wurde. Sie hielt absolut nichts mehr von der Sitte, sich die Zehen umbiegen und festbinden zu lassen, damit man ja ganz kleine Füße erhalte, während qualvoll die Zehennägel ins Sohlenfleisch wachsen. Sie fand eine Niethose und einen Pullover praktischer als ein langes Gewand aus feiner Seide, sie liebte es, Schwimmen und Tennis spielen zu gehen - kurz, sie war ein modernes Mädchen wie Millionen andere in der ganzen Welt.
    An diesem Abend kam sie gegen sieben nach Hause. Im Wohnzimmer saßen ihre Eltern und sprachen mit einem Besucher, den Malo noch nie gesehen hatte. Es war ein Chinese von etwa fünfzig bis sechzig Jahren, der ganz in die altväterliche Kleidung gehüllt war. Unter den üblichen umständlichen Höflichkeitsfloskeln entschuldigte sie Malo dafür, dass sie das Gespräch der Eltern mit dem Besucher für eine Minute unterbrechen müsse.
    »Daddy, ich kann nicht zum Abendessen bleiben«, sagte Malo fröhlich, während sie ihrem alten Vater einen leichten Kuss auf die Wange hauchte. »Wir haben heute Abend eine Party bei einem Professor. Ein ganz junger Professor, den wir alle schrecklich gern haben. Es wird wohl ein bisschen später werden, fürchte ich. Du hast doch nichts dagegen?«
    Der Vater schüttelte geschmeichelt den Kopf.
    »Ich finde es gut, dass ihr so einen nahen Kontakt zu euren Lehrern unterhaltet, meine Tochter«, erklärte er in seiner üblichen, würdevollen Art. »Ein Lehrer weiß einen Schüler am besten zu bilden, wenn er ihn gut kennt. Und ein Schüler lernt umso williger, je mehr er dem Lehrer zugetan ist. Geh’ nur, Malo, meine süße Augenweide, wir wünschen dir recht viel Freude.«
    Malo verabschiedete sich von ihren Eltern und dem fremden Besucher und huschte in ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Nach einer guten halben Stunde kam sie in einem Abendkleid wieder, das ihre weißen wohlgeformten Schultern freiließ. Der Besucher zuckte für den Bruchteil einer Sekunde zusammen, als habe er etwas Ungeheuerliches erblickt, aber gleich darauf war seine Miene wieder undurchdringlich und nichtssagend.
    Eine gute halbe Stunde später verabschiedete sich der Besucher.
    Am nächsten Morgen fanden Malos Eltern das Zimmer ihrer Tochter leer. Sie war überhaupt noch nicht nach Hause gekommen, denn das Bett war unbenutzt. Frau Chenang machte sich große Sorgen, aber ihr Mann beschwichtigte sie mit dem Hinweis: »Malo wird bei einer Freundin geschlafen haben, die ein bisschen näher wohnte, um den langen Heimweg zu vermeiden. Bei den jungen Mädchen ist das hier so üblich. Du weißt, dass auch Malos Freundinnen schon gelegentlich hier geschlafen haben.«
    Damit gab man sich zunächst zufrieden. Zum Mittagessen, so hoffte man, Werde Malo ja wohl erscheinen oder wenigstens anrufen und sich entschuldigen.
    Aber bis nachmittags vier Uhr hatte Malo nicht das geringste Lebenszeichen gegeben.
    Ein Anruf Chenangs bei der Universität ergab, dass Malo an diesem Morgen überhaupt nicht zu den Vorlesungen erschienen war…
    ***
    Die Einrichtung unseres Hotels war ein Kuriosum für sich. Jedes Zimmer hatte die üblichen Einrichtungsgegenstände eines mittelguten Hotels. Fließendes Wasser und Anschlüsse für die elektrischen Rasierapparate. Aber daneben gab es gewissermaßen eine zweite Zimmerhälfte, die aus China importiert war. Da lagen Matten und Kissen, stand ein unwahrscheinlich niedriger Tisch, hingen drachenbestickte Teppiche von der Wand herab und stand ein vergoldetes Gebilde in einer Nische, die altarähnlich ausgeschmückt war. Natürlich verstanden wir nichts vom Sinn dieser Nische, aber wir
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