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0068 - Die Geisternacht

0068 - Die Geisternacht

Titel: 0068 - Die Geisternacht
Autoren: Hans Wolf Sommer
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würden. Besonders nachts, wenn der Sternenhimmel auf ihrer Seite war und ihr unseliger Gott am Himmelszelt erschien.
    Aber auch am Tage war er die Wachsamkeit selbst. Keinen Schritt ging er ohne seinen Karabiner, gleichgültig ob er sich im Stall oder auf dem Feld aufhielt.
    Wie gut er damit beraten war, zeigte sich an diesem Tag.
    Er beschäftigte sich gerade mit seinen Kukuruz-Maiskolben, als er sie sah.
    Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Luft flirrte vor Hitze.
    Dennoch hatte er keinen Zweifel. Die Gestalten, die sich dort drüben näherten, konnten nur die Diener Tezcatlipocas sein. Sie hatten es auf ihn und Maria abgesehen.
    Er griff nach seinem Karabiner, der neben ihm auf der Erde lag, und rannte so schnell er konnte zum Haus. Nie in seinem Leben hatte er tausend Meter so schnell zurückgelegt.
    »Maria, Maria!«, rief er atemlos. »Sie kommen, sie kommen!«
    Maria erschien am Fenster. Selten war sie ihm schöner vorgekommen als jetzt, wo er wusste, dass sie seinen Sohn unter dem Herzen trug. Sie und den kleinen Tizoc – niemals sollten die Schlächter sie in ihre Mordfinger bekommen.
    Gehetzt blickte er den Weg zurück, den er gekommen war.
    Beharrlich kamen sie näher. Obgleich sie nicht liefen, wie er es gerade getan hatte, hatte sich der räumliche Abstand zwischen ihm und ihnen erheblich verkürzt. Tezcatlipoca, der Schreckliche, beflügelte die Schritte seiner Geschöpfe in einer Art und Weise, die den Rahmen des Normalen sprengten.
    Sein erster Gedanke war Flucht gewesen. Aber nun sah er ein, dass es dazu bereits zu spät war. Der alte Buggy auf dem Hof hatte einen Getriebeschaden und konnte nur im ersten Gang gefahren werden.
    Viel zu langsam, um den Verfolgern davonfahren zu können. Und zu Fuß? Unmöglich! In ihrem Zustand war Maria dazu nicht in der Lage.
    Verzweifelt wurde er sich seiner Situation bewusst. Es blieb nur eine einzige Möglichkeit: Kampf! Kampf bis zur letzten Patrone.
    Er lief auf den Hauseingang zu, blickte sich dabei noch einmal um.
    Sie waren schon ganz nahe, beinahe bis auf Schussweite heran.
    Fünf waren es, fünf Männer in Jaguarfellen, einem der schändlichen Wahrzeichen ihres Gottes. Sie schienen unbewaffnet zu sein, aber Pizana ließ sich dadurch nicht täuschen. Diese Männer brauchten keine Karabiner, keine Pistolen. Und auch auf die Obsidian-Keulen ihrer unseligen Vorfahren konnten sie getrost verzichten. Zauberei und Magie – das waren ihre Waffen.
    Tizoc Pizana riss die Haustür auf und warf sie hinter sich ins Schloss. Er schob den schweren Riegel vor, dabei aber wohl wissend, wie wenig er dauerhaften Schutz versprach.
    Maria blickte ihm mit angstvoll geweiteten Augen entgegen. Das Herz brach ihm fast, als er sie so sah.
    »Maria…« Seine Stimme wollte ihm kaum gehorchen. »Geh in den Keller! Ich werde versuchen, sie aufzuhalten und abzuwehren. Und wenn ich … Geh in den Keller. Vielleicht finden sie dich nicht.«
    Stumm schüttelte sie den Kopf.
    »Ich bleibe«, sagte sie fest. »Wenn wir sterben müssen, dann zusammen. Hier, wo unsere Heimat ist.«
    »Sterben?« Er lachte bitter auf. »Wir würden sterben, aber nicht hier. Auf den Opfersteinen ihres Blutgötzen! Geh, Maria, geh! Du kannst mir hier sowieso nicht helfen.«
    Er blickte aus dem Fenster. Noch hundert Meter und dann…
    Maria weigerte sich noch immer, zu gehen. Er musste sie an ihren ungeborenen Sohn erinnern und die Verantwortung, die sie für ihn trug. Dann erst war sie bereit sich zu verstecken. Ihr Abschied war kurz und tränenreich. Auch er schämte sich nicht der Tränen, die ihm in die Augen traten.
    Tizoc Pizana stellte sich zum Kampf.
    Die Jünger des Schrecklichen traten jetzt auf den Hof. Ihre hochmütigen Gesichter waren unbewegt. Nur die kalte Entschlossenheit glühte in ihren dunklen Augen.
    Er legte den Karabiner an, zielte auf den vordersten der fünf und drückte ab.
    Pizana war nicht der beste aller Schützen. Aber aus dieser Entfernung… Er war sich ganz sicher, getroffen zu haben. Und doch kam der Diener Tezcatlipocas stoisch näher, ganz so, als sei er allerhöchstens von einer Fliege belästigt worden. Oder nicht einmal dies.
    Pizana repetierte, feuerte erneut, repetierte und feuerte, bis der Schlagbolzen ins Leere traf. Das Magazin enthielt keine Patrone mehr. Die Schlächter jedoch waren unversehrt.
    Sie waren bereits ins Haus eingedrungen. Die Haustür… Er hatte nicht einmal gehört, dass sie sie gesprengt hatten. Er vernahm ihre Schritte. Sie kamen näher,
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