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0050 - Der Einsame der Zeit

Titel: 0050 - Der Einsame der Zeit
Autoren: Unbekannt
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ich zu dem farbigen Bild hinüber. Meine Mitarbeiter unterhielten sich über Dinge, die mir sehr wohl bekannt waren. Ich weilte mitten unter ihnen, und trotzdem lag ich hier. Das scharfe Bild verflimmerte plötzlich. Eine moderne Uhr mit Jahresskala erschien auf dem Schirm.
    Jemand verkündete feierlich: „Die Zeit ist um, Gebieter."
    Wann hatte man mich wohl zum letzten Male „Gebieter" genannt? Mühsam drehte ich den Kopf. „Wie bitte?" fragte ich mit schwerer Zunge.
    „Die Zeit ist um, Gebieter!" drang die gleiche Stimme an mein Ohr. Diesmal klang sie nicht mehr so feierlich, sondern mehr metallisch schwingend. Ricos Plastikgesicht hatte sich verbindlich gefaltet. Er lächelte! Ich blinzelte zu ihm hinauf, bis ich seine starren Augen gefunden hatte.
    „Hallo", sagte ich schwach, „ist da Rico?"
    „Das ist Rico, Gebieter. Die Zeit ist da. Ich war gezwungen, dich aufzuwecken. Genau neunundsechzig Jahre, Gebieter."
    Ich ärgerte mich über den devoten Ausdruck. Man sollte hochwertige Roboter nicht so schalten, daß sie bei jeder Gelegenheit eine unterwürfig klingende Anrede gebrauchen. Wie war das aber mit den erwähnten 69 Jahren gewesen? Der Gedanke daran ließ mich zusammenfahren. Es war so, wie es immer gewesen war: Die Erkenntnis kam mit schmerzhafter Eindringlichkeit. Ich richtete mich auf.
    Rico griff sofort zu. Ich spürte den harten Stahl unter der leichten elastischen Plastikverkleidung seiner Hand. Ich stöhnte unterdrückt. Meine Gelenke schienen Rost angesetzt zu haben. Schließlich sah ich wieder zu der Uhr auf dem Bildschirm hinüber.
    „Nur neunundsechzig Jahre? Ich hatte für siebzig justiert. Was ist los?"
    Rico war so stur, wie es nur eine Maschine sein konnte.
    „Nur neunundsechzig Jahre, Gebieter", erklärte er unbewegt. „Ich erhielt den Kommandoimpuls vor genau sechsunddreißig Stunden, drei Minuten und achtzehn Sekunden."
    Also hatte man diesmal rund 36 Stunden benötigt, um mich aus dem todesähnlichen Biotiefschlaf aufzuwecken.
    „Zu lange, viel zu lange!" signalisierte mein Gehirn. Dann fragte ich mich wieder, welcher winzige Schaltfehler zu einer Zeitdifferenz von einem Jahr geführt hatte. Sicherlich war es meine eigene Schuld gewesen. Es war damals alles so schnell gegangen; damals, als sie oben mit dem atomaren Unfug begannen.
    Eine mechanische Sprecheinheit meldete sich. Ich fuhr wieder zusammen. Die Uhr verschwand vom Bildschirm. Die Bildtonspule hatte ihren Zweck erfüllt. Kreaturen von meiner Art benötigten im Augenblick des Aufwachens akustische und optische Eindrücke aus der Zeit unmittelbar vor Beginn der biomedizinischen Einschlafprozedur. Ich erinnerte mich, daß ich die vorsorglich angefertigte Spule in die Zeitautomatik geschoben hatte. Hiobs aufdringliches Gelächter hatte mir gut geholfen. Wahrscheinlich wäre ich sonst nicht so rasch munter geworden.
    Ricos runder Plastikschädel schob sich in mein Blickfeld. Er gehörte zu den wenigen Robotern, die speziell für die Überwachung und Wartung der Kuppelmaschinen konstruiert worden waren. Seine Sprachbegabung war eine positronischlogische Spielerei mit einem ultraschnell arbeitenden Auswertungssektor, der mathematische Ergebnisse in verständliche Laute umwandelte. Es war ein Hilfsmittel zur Anreizung meiner nur langsam munter werdenden Sinne. Immerhin mußte ich jetzt mit jemand sprechen, auch wenn der Partner nur eine Maschine war. Ricos Sprachschatz war ohnehin begrenzt. Rechts neben dem Ruhelager war die vom Zentralgehirn ferngesteuerte Aktivierungsdusche aufgefahren. Der kleine Raum glich einem modernen Operationssaal, nur, daß es hier keine Ärzte gab.
    Die auf meine Körperzellen einwirkenden biochemischen Reizstoffe wurden teils eingespritzt, teils in der Form variabler Strahlungen abgegeben. Über meinem Kopf lastete noch die glitzernde Haube des Schwingungsgenerators, der mir wohl die ersten Sinneseindrücke vermittelt hatte.
    Ich blieb eine Stunde lang still liegen und dachte dabei über die Gründe nach, die mich zu diesem Tiefschlaf verleitet hatten.
    Richtig - vor 69 Jahren, Anfang Juli 1971, hatten die Verantwortlichen der drei großen Staatenblöcke die Nerven verloren. Ich war in meiner unterseeischen Kuppel verschwunden, als in Asien die ersten Atomraketen starteten. Wahrscheinlich hatte ich es gerade noch geschafft, der sinnlosen Vernichtung zu entgehen. Was war aber aus den vielen Menschen geworden? Die Vorstellung um das Schicksal von Milliarden war zu grauenhaft, um kalt und nüchtern
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