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0048 - Ausflug ins Jenseits

0048 - Ausflug ins Jenseits

Titel: 0048 - Ausflug ins Jenseits
Autoren: Walter Appel
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fahren.
    Meinen Einsatzkoffer mitzunehmen, hielt ich nicht für nötig. Auch die Beretta blieb im Schrank. Lediglich mein geweihtes silbernes Kreuz mit den geheimnisvollen Hieroglyphen und den Zeichen der vier Erzengel Michael, Rafael, Ezechiel und Uriel an den Enden trug ich unterm Hemd um den Hals.
    Professor Melibocus saß zusammengefaltet neben mir, die spitzen Knie angezogen. Fitz Fitzgerald, ein Ire, der sich überall auf der Welt herumgetrieben hatte, bevor er in die Dienste des Prager Professors geraten war, hatte auf dem Rücksitz Platz genommen. Er kaute an seiner kalten Stummelpfeife herum.
    Wir fuhren am herbstlichen Hyde Park vorbei und durch Westminster in Richtung Soho. Es war bereits dunkel, und der berüchtigte Londoner Herbstnebel kroch durch die Straßen. In Soho wurden sie immer finsterer und schmutziger.
    Soho war nicht umsonst der verrufenste Stadtteil Londons. Hier lebten hauptsächlich Ausländer, darunter viele illegale Einwanderer. In manche Straßen wagten sich die Bobbies, die Londoner Polizisten, nur gruppenweise hinein.
    In der Beak Street, in der Madame Melisandra wohnen sollte, standen heruntergekommene Mietskasernen, und es gab ein paar muffige Läden und finstere Lokale. Ich parkte meinen silbergrauen Bentley unter einer Straßenlaterne und hoffte, dass ihr Lichtschein dunkle Existenzen abhalten würde.
    Als wir ausstiegen, roch es nach den Abfällen der überquellenden Mülltonnen. Es war nasskalt und zugig. Aus einem Kellerlokal drang Gegröle, und im Hinterhof jaulten ein paar Katzen.
    »Nicht gerade eine vornehme Gegend«, sagte ich zu Professor Melibocus. »Sind Sie sicher, dass wir hier an der richtigen Adresse sind? Ich habe in der Zeitung über Madame Melisandra gelesen und auch sonst schon mal von ihr gehört. Angeblich soll sie sogar hohe Politiker und Spitzen der Geschäftswelt beraten.«
    »Das stimmt«, antwortete der lange Melibocus. »Madame Melisandra ist in Soho geboren und aufgewachsen. Hier hat sie ihre Talente entwickelt. Sie braucht die Atmosphäre des Viertels.«
    »Hm.«
    Madame Melisandras Name stand auf der schmutzigen Klingelleiste. Nach mehrmaligem Läuten summte der Türöffner, wir traten ins Haus. Ein starker Kohlgeruch empfing uns. Im Schein der trüben Treppenhausbeleuchtung sahen wir ein Schild mit einem großen Auge in der Mitte und kabbalistischen Zeichen rundherum. »Madame Melisandra, Hellseherin, Astrologin, Kartenleserin und Handleserin« stand darunter. »Dritter Stock rechts«.
    Einen Aufzug gab es nicht, wir stiegen die Treppen hoch. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Spitzenpolitiker hier herkam. Aber vielleicht machte Madame Melisandra Hausbesuche, oder es genügte ihr, einen Brief ihres Klienten vorliegen zu haben, um ihn telefonisch oder schriftlich beraten zu können.
    Im dritten Stock zeigte eine schwarze Hand an der Wand nach rechts. Hinter der ersten Wohnungstür keifte eine Frauenstimme im höchsten Diskant. Alter Drecksack, Lump und Gauner beschimpfte die Frau ihren Lebensgefährten.
    Dann polterte es drinnen, ein Klatschen ertönte, und gleich darauf schoss ein stiernackiger Glatzkopf mit speckiger Hose und Pullover aus der Tür wie der Sektkorken aus der Flasche.
    »Die nächsten drei Tage siehst du mich nicht wieder, du alte Vettel!« rief er markig in die Wohnung, bevor er die Tür zuschmetterte.
    Er verschwand um die Ecke.
    »Trautes Heim, Glück allein«, spottete Fitz Fitzgerald. »Nette Leute wohnen hier.«
    Die Tür am Ende des Flurs führte in Madame Melisandras Wohnung. Wir klingelten und wurden durch einen Spion gemustert. Endlich konnten wir eintreten, wobei der lange Professor sich tief bückte, um nicht mit dem Türbalken in Konflikt zu geraten.
    Madame Melisandra, die berühmte Hellseherin, stand vor uns.
    Sie konnte fünfzig, aber auch fünfundsechzig Jahre alt sein. Sie war mittelgroß und ziemlich fett, hatte ein schwarzes Kopftuch auf und trug ein geblümtes Kleid.
    Ihr Teint war dunkel, auf der Nase und der Wange prangten je eine linsengroße Warze. Große goldene Rundohrringe zierten Madame Melisandras Ohren.
    An ihren fetten Fingern glitzerten mindestens zwölf Ringe.
    »Professor Melibocus!« rief sie und umarmte den Langen erfreut. »Sie hier? Welch eine Freude!«
    Fitz Fitzgerald zwinkerte mir zu. Madame Melisandra begrüßte auch uns und führte uns gleich in ihr Arbeitszimmer. Auf zwei Schreibtischen lagen astrologische Tabellen und Zeichnungen und allerlei Krimskrams. In dem überheizten Raum mit
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