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0027 - Die Grotte der Gerippe

0027 - Die Grotte der Gerippe

Titel: 0027 - Die Grotte der Gerippe
Autoren: Susanne Wiemer
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zum Platznehmen auf. Fleming ließ sich auf einen der Steine sinken. Er wurde immer noch nicht schlau aus dem seltsamen Alten, konnte einfach nicht entscheiden, ob Jacahiro ein wichtigtuerischer Schwätzer war, ein Kenner des Peyote-Kults, oder ob er eine andere, dunkle Rolle spielte.
    »Da stimmt doch etwas nicht, oder?« fragte Fleming nach einer Weile.
    Der alte Indio warf ihm einen Blick zu. Er lächelte, und das Netzwerk der unzähligen Falten und Runzeln in seinem Gesicht verschob sich.
    »Der göttliche Peyote hat viele Gesichter«, meinte er.
    »Auch das Gesicht Tukákames? Er ist doch der Teufel der Huichol, nicht wahr?«
    »Der Herr der Finsternis und der Fürst des Totenreiches«, bestätigte Jacahiro. Seine Stimme klang dunkel, ehrfürchtig. »Was hier geschieht, hat noch kein Uneingeweihter gesehen. Schau hin! Sie handeln nach einer uralten Prophezeiung. Auch du spielst eine Rolle darin, Americano.«
    »Ich?« fragte Bill entgeistert.
    Jacahiro nickte. »Der weiße Mann, der in das heilige Tal hinabsteigt, wenn die Zeit erfüllt ist. Sie glauben, daß du es bist. Nie hätten sie dir sonst erlaubt, sie auf ihrer Pilgerfahrt zu begleiten und an den geweihten Riten teilzunehmen.«
    Bill Fleming preßte die Lippen zusammen.
    Aus schmalen Augen starrte er zu den Feuern hinunter, zu den dunklen, in Ekstase tanzenden Gestalten. Eine uralte Prophezeiung, klang es in ihm nach. Wenn das stimmte, dann müßte es eine Prophezeiung sein, von der kein Kulturhistoriker bisher auch nur etwas ahnte. War es möglich, daß er wirklich Neuland betrat? Daß ihm der Zufall hier in der Einöde der Sierra Madre Occidental eine der letzten großen Entdeckungen zugespielt hatte, die…
    »Willst du das Geheimnis kennenlernen, Americano?« fragte Jacahiro mit seiner leisen, gutturalen Stimme.
    Bill Fleming schluckte.
    Seine Mundhöhle war trocken. Erregung hatte ihn ergriffen. Erregung – und gleichzeitig eine dumpfe Furcht, deren Ursprung er sich nicht erklären konnte.
    Schließlich war es die wissenschaftliche Neugier in ihm, die siegte.
    »Natürlich«, sagte er heiser »Deshalb bin ich ja hier.«
    »Dann komm! Ich werde dich in die Höhle des Goldenen Pumas führen, in die Grotte, die noch keines Weißen Fuß betreten hat. Du bist auserwählt. Die letzten und tiefsten Geheimnisse des Kultes werden sich dir entschleiern.«
    Bill zögerte.
    Immer noch spürte er diese seltsame Furcht. Aber Jacahiros Worte klangen verlockend, und der Gedanke, daß er möglicherweise eine Entdeckung machen würde, die dazu führen konnte, daß die Wissenschaft einen Teil der Azteken-Kultur in einem ganz neuen Licht sah, überwog die Bedenken.
    Er atmete tief durch und erhob sich.
    »Okay«, sägte er nur.
    Und er sah nicht das böse, triumphierende Glitzern, das in den Augen des alten Indios aufflackerte, kaum daß er sich umgedreht hatte…
    ***
    Die altehrwürdige Standuhr in Professor Zamorras Schlafzimmer zeigte sieben Uhr morgens.
    Durch die Ritzen der schweren Vorhänge fiel Sonnenlicht. Vögel zwitscherten, eine frische Brise strich durch das trockene Herbstlaub. Zamorra war mit einem Ruck im Bett hochgefahren, und während er sich umsah, fragte er sich, was ihn derart plötzlich geweckt hatte.
    Nicht die Sonne, und auch nicht der sanfte Glockenton der Uhr! Irgend etwas Unangenehmes war in sein Bewußtsein gedrungen. Ein anderer Mann hätte das unklare Gefühl vielleicht abgeschüttelt – aber Professor Zamorra war Parapsychologe, er besaß eine seismographische, fast schon mediale Empfänglichkeit für Stimmungen, Strömungen und geheime Zusammenhänge, und er verdankte der Tatsache, daß er solche unklaren, blitzhaft aufzuckenden Empfindungen nie ignorierte, eine Menge Wissen und Erkenntnis.
    Einen Moment lang blieb er reglos sitzen. Er konzentrierte sich, lauschte in sich hinein – aber er fand nichts. Nichts jedenfalls außer dieser eigentümlichen, nagenden Unruhe, die ihn innerlich vibrieren ließ und an seinen Nerven zerrte.
    Mit einem tiefen Atemzug stand er auf, ging zum Fenster hinüber und zog die Vorhänge auseinander. Helles Morgenlicht flutete herein, die breitschultrige, athletische Gestalt des Professors hob sich wie ein Schattenriß ab. Die Sonne ließ die Silberfäden in seinem dichten dunklen Haar glitzern. In vollen Zügen sog er die frische, klare Herbstluft in die Lungen, genoß den leichten, würzigen Geruch nach Rauch und trockener Erde und verfolgte sekundenlang das Spiel der abgerissenen Blätter, die der Wind
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