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0027 - Die Grotte der Gerippe

0027 - Die Grotte der Gerippe

Titel: 0027 - Die Grotte der Gerippe
Autoren: Susanne Wiemer
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untergebracht war, die mit ihren uralten Chroniken, Erstausgaben und kostbaren Folianten einen beträchtlichen Wert darstellte.
    Professor Zamorra nahm ein bestimmtes Buch aus dem wandhohen Regal – einen Band, der sich bei näherem Hinsehen als getarnte Kassette entpuppte. Behutsam hob er den Deckel ab und griff nach dem silbernen Amulett, das auf seinem Bett aus dunklem Samt funkelte.
    Wie immer spürte er sofort die seltsame Kraft, die von dem Talisman ausging. Damals, als er das Schloß von seinem unter rätselhaften Umständen ums Leben gekommenen Onkel Louis de Montagne erbte, hatte er noch nichts von der Existenz des Amuletts geahnt.
    Aber er wußte um das dunkle Geheimnis, das Château Montagne umgab, er kannte den Unstern, der angeblich über dem Geschlecht seiner Vorfahren stand, und auch die eindringliche Warnung im Testament seines Onkels konnte ihn nicht davon abhalten, das Rätsel zu lösen.
    Er hatte das Amulett gefunden, das Leonardo de Montagne, der Kreuzfahrer, vor vielen Jahrhunderten aus dem Heiligen Land mitgebracht hatte.
    Es war ihm gelungen, die Dämonen von Château Montagne zu vertreiben. Und seither wußte er, daß ihm dieses Amulett nicht nur eine große Macht verlieh, sondern gleichzeitig die Verpflichtung bedeutete, überall da den Kampf gegen die Mächte der Finsternis aufzunehmen, wo sie ihm begegneten.
    Einen Augenblick lang betrachtete er den Talisman, der eigentümlich warm in seiner Hand lag. Der Drudenfuß in der Mitte leuchtete in reinem Silberglanz. Ein schmales Band umgab ihn, das die zwölf Tierkreiszeichen trug, ein äußerer Ring enthielt geheimnisvolle Zeichen und Symbole, deren Bedeutung der Professor trotz intensiver Forschungsarbeit bisher nur zum Teil enträtselt hatte. Bei dem Anblick überkam Zamorra wieder die unerklärliche Unruhe, mit der er aufgewacht war. Er schloß die Augen, konzentrierte sich – und es dauerte nur Sekunden, bis die Strahlkraft des Amuletts ihn in einen Zustand äußerster Empfänglichkeit versetzt hatte, der es seinem Geist ermöglichte, Raum und Zeit zu überbrücken.
    Hinter seinen geschlossenen Lidern erschienen Bilder.
    Visionsartig sah er eine Gestalt. Eine einsame Gestalt in tiefer Finsternis. Irgendwo flackerte Licht. Zamorra glaubte, eine Pechfackel zu erkennen, die Umrisse der Gestalt wurden deutlicher, und allmählich traten auch die Gesichtszüge hervor.
    Bill Fleming!
    Wie mit einem Blitzschlag begriff Zamorra, daß es sein Freund Bill Fleming war, den er vor sich sah und um den er sich schon seit dem Erwachen Sorgen machte, ohne es zu wissen. Bill hielt eine Fackel in der Hand und schritt durch eine finstere Höhle. Feuchte Steine schimmerten, der Professor glaubte förmlich, die dumpfe Grabesluft zu spüren. Ganz deutlich sah er jetzt das Bild vor sich – und er spürte mit jeder Faser seiner Nerven, daß sein Freund in Gefahr war.
    In tödlicher Gefahr!
    Bill Fleming ging dem Verderben entgegen. Unaufhaltsam trieb er dem Untergang zu, und der Eishauch der schrecklichen Bedrohung jagte Zamorra einen kalten Schauer über den Rücken.
    ***
    Die schroffe Felswand schien ins Unendliche emporzuwachsen.
    Nur noch entfernt waren die Trommeln zu hören und der schrille, wahnwitzige Gesang. Der Widerschein der Feuer drang nicht bis hierher; sie wurden von zahllosen steinernen Bildnissen abgeschirmt, die so lebendig wirkten, daß selbst Bill nicht mehr ganz frei von Zweifel daran war, daß es sich tatsächlich um natürliche Gebilde handelte. Von Anfang an hatte der junge Historiker empfunden, wie sehr die grandiose, gespenstische Landschaft dieses Tales das kleine Menschenwesen erdrückte, jetzt geriet er mehr und mehr in den Bann der seltsamen Atmosphäre. Er preßte die Lippen zusammen und heftete seinen Blick auf den Rücken des alten Indios, der vor ihm mit erstaunlicher Geschicklichkeit einen Weg durch die zerklüftete Steinwüste suchte.
    Jacahiro schien direkt auf die schroffe, abweisende Felswand zuzusteuern.
    Die Höhle, die sein Ziel war, hätte vermutlich niemand finden können, der sie nicht kannte. Bill Fleming sah lediglich einen Schatten im weißen Kalkstein – seiner Meinung nach eine der zahllosen Gesteinsfalten. Erst als Jacahiro hineinglitt und von der Finsternis förmlich verschluckt wurde, begriff der junge Historiker, daß hier ein unterirdischer Gang begann. Er grub die Zähne in die Unterlippe, umrundete ein paar herabgefallene Felsbrocken und folgte dem alten Indio mit ziemlich gemischten Gefühlen.
    Sekunden
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